Mesut Özil, das Liebkind des deutschen Fußballs
Erst 21 Jahre und schon bei Real Madrid. Erst 20 Länderspiele und schon Leitfigur. Im Spiel nahe an der Perfektion, steht er gesellschaftlich fürs neue Deutschland
MÜNCHEN Nach Kasachstan reist kein Politiker mit. Die Nationalspieler sind also unter sich, auch nach dem Spiel in der Kabine. Kein überraschender Besuch ist in der Nacht zum Mittwoch in den Katakomben der Astana-Arena nach dem EM-Qualifikationsspiel in Kasachstan (19 Uhr, ZDF live) zu erwarten.
Der – angeblich – spontane Kabinenauftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem 3:0 gegen die Türkei samt des offiziellen Kanzlerfotografen des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung hatte ein Zeitdokument hervorgebracht, das an die Auftritte von Helmut Kohl in den 80er Jahren erinnerte. Die Kanzlerin im grünen Blazer und der ungeduschte Kicker mit nacktem Oberkörper, die Hitze des Spiels noch in den Gliedern. Merkel und Özil. Politik und Sport. Für Merkel wie gerufen: Ablenkung vom Alltag mit dem Gespür für Helden.
Mesut Özil, der Einwanderersohn türkischer Eltern, ist das Gesicht dieser deutschen Nationalelf. Erst 21 und schon bei Real Madrid. Erst 20 Länderspiele und schon Leitfigur, der Rhythmusgeber und Fantasie-Beauftragte des deutschen Spiels. Mit dem Türkei-Spiel, das Land seiner Eltern und Freunde als Gegner, hat der Ex-Bremer seine Reife demonstriert – nicht nur wegen seines Treffers zum 2:0. Er hielt dem Druck stand. „Mesut kann sich auf die entscheidenden Dinge konzentrieren und ist mental stark“, lobte Bundestrainer Joachim Löw. Nach nur eineinhalb Jahren in der Nationalelf hat sich der eher schüchterne und stille Özil unverzichtbar gemacht. Ganz im Stile seiner Vorgänger Netzer & Overath, Magath & Häßler. Özil ist nahe an der Perfektion, wenig fehlt ihm noch zu den Altstars. Im Spielmacher-Ranking ist er längst unter den Top Ten.
Trotz seiner Sprunggelenkprellung am linken Knöchel und des Trainingsverbots am Wochenende nahm Löw den Linksfuß mit auf den anstrengenden Trip nach Kasachstan. Das Signal: Er wird gebraucht. Ein lädierter Özil auf dieser Position ist noch besser als manche Alternative.
„Özil verkörpert Glanz und Klasse, er ist ein außergewöhnlicher Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten“, sagte Günter Netzer, einer seiner Vorgänger als Real-Star und als DFB-Spielmacher.
Mesut Özil, er ist das aktuelle Liebkind des deutschen Fußballs.
Patrick Strasser