Martinas Meisterprüfung: EM-Halbfinale gegen Frankreich
An jedem Morgen schwimmt sie eine halbe Stunde im Hotelpool des "Hilton Syon Park" im Londoner Stadtteil Brentford. Früh morgens, bevor ihr mit Meetings und Training vollgepackter Tag startet. Viel Schlaf braucht sie aktuell nicht, sie ist im Rhythmus, die EM-Maschine läuft. Es ist ihre erste Aufgabe am Tag, bevor sich Martina Voss-Tecklenburg mit ihrem Trainerteam bespricht. Und es ist eine der wenigen, die sie allein und für sich unternimmt.
Voss-Tecklenburg, seit 2019 Bundestrainerin, ist zwar der Boss, trifft aber kaum eine Entscheidung allein. Ganz im Gegenteil. Die 54-Jährige hat sich ein Team aufgebaut, das ganz wesentlich zum Erfolg der DFB-Frauen bei der EM beiträgt. Sie haben es ohne Gegentor ins Halbfinale des Turniers geschafft und gelten neben Gastgeber England als Titelfavorit. Ohne das Team wäre Voss-Tecklenburg aber wohl nicht mehr im Amt.
Große Erwartungen, uneindeutige Kommunikation
Denn kaum hatte sie ihren Job Ende November 2018 angetreten, scheiterte sie auch schon. Bei der WM 2019 waren die Erwartungen groß, die Vorbereitung gering. Das Viertelfinal-Aus ein Debakel. "Wir waren 2019 in ganz vielen, auch sportlichen Bereichen noch nicht so weit", sagte die 125-malige Nationalspielerin der "SZ". "Wir mussten erst Klarheit bei uns haben, bevor wir Klarheit an die Spielerinnen weitergeben können." Die Kommunikation sei nicht eindeutig gewesen, alle Verantwortlichen im Trainerteam hätten mitunter unterschiedliche Anweisungen gegeben. Mittelfeldspielerin Lena Lattwein vom VfL Wolfsburg sprach in der Doku "Born For This" darüber, "dass es nicht immer so lief, wie wir das wollten, dass die Zusammenarbeit nicht immer gestimmt hat".
Damit meint sie die Spielerinnen untereinander, aber auch das Trainerteam. Vergangenes Jahr habe es noch geknirscht. "Belastungssteuerung" sei das Unwort in der Mannschaft gewesen, die mehr Einheiten auf dem Platz und eine größere Freiheit forderte. "Diese schwierigen Phasen haben gut getan, wir haben es geschafft uns auszusprechen, uns wieder neu zu finden", sagt Lattwein.
Sechs prägende Jahre in der Schweiz
Die Bundestrainerin war vor ihrer Zeit beim DFB, wo sie bereits statt Silvia Neid im Gespräch war, sechs Jahre lang Chefcoach der Schweizer Nationalmannschaft. Dort pflegte sie einen komplett anderen Stil, der sie prägte. "Ich war als Trainerin mehrheitlich alleine unterwegs", sagte sie. "Ich war immer sehr dominant. Ich wollte am liebsten von vorne bis hinten als Trainerin alles alleine machen."
Inzwischen führt sie ein Betreuerteam an. Dies besteht aus ihrer Vertrauten Britta Carlson, den Assistenten Thomas Nörenberg, Patrik Grolimund, Jan-Ingwer Callsen-Bracker für die Neuro-Athletik, Birgit Prinz als Psychologin und Torwarttrainer Michael Fuchs. Für sie sei das ein langer Prozess gewesen, sagt MVT, bei dem ihre Assistentin Carlsson sie sehr unterstützt hat. "Diese Qualität hier von den sportlich Verantwortlichen, die ist so gut und auch eingespielt. Das gibt mir als Trainerin eine viel größere Sicherheit."
Und vor allem Freiheit.
Voss-Tecklenburg, die seit 2009 mit dem Bauunternehmer Hermann Tecklenburg verheiratet ist und aus früherer Beziehung eine Tochter hat, nutzte die Coronapause, um ihre Spielerinnen besser kennenzulernen - und ihnen neben mehr Freiheit und Eigenverantwortung zu geben. "Es baut sich großes Verständnis füreinander auf, mehr Vertrauen", sagte MVT. Sie selbst höre mehr auf sich und ziehe sich manchmal zurück, auch Teampsychologin Birgit Prinz helfe ihr dabei. Tatsächlich ist der Teamgeist spürbar bei der EM. Voss-Tecklenburg vertraute allen Spielerinnen, setzte alle bereits ein.
Glückwunsche von der Ex-Kanzlerin
Das glückte. Zum Halbfinale gab es Glückwunsche auch von Angela Merkel. "Sie hat uns zum Einzug ins Halbfinale gratuliert, alle herzlich grüßen lassen und wünscht uns weiterhin alles Gute", verriet Voss-Tecklenburg der "Bild". Nach der WM 2019 war sie von der damaligen Bundeskanzlerin zu Kaffee und Kuchen ins Büro eingeladen worden. Seitdem stehen beide im Kontakt. Von Merkel komme immer etwas zurück. Vielleicht kommt ja schon am Mittwoch die nächste Gratulation. . .
Nach der EM, daheim in ihrer Wahlheimat Straelen, wolle sie erst einmal "zwei Tage nicht reden", kündigte MVT an, die im März Großmutter geworden ist.
Vielleicht behält sie sich ja ihre Schwimm-Routine. Reden muss sie dabei auf jeden Fall nicht.
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