Mario, der schöne Schocker
Nach Mario Gomez’ herrlichen Toren gegen Holland staunt Schweinsteiger über seinen Freund – und sogar Kritiker Mehmet Scholl leistet Abbitte
DANZIG Drin das Ding und vor Mario Gomez diese orangene Wand. Beim ersten wie beim zweiten Mal. „Ich habe mich natürlich sehr Freude über meine beiden Tore”, sagte der Matchwinner beim 2:1 im zweiten EM-Gruppenspiel gegen die Holländer, „doch als ich los gelaufenn bin, habe ich in der Fankurve nur oranje gesehen. Und dort dann provozierend zu jubeln, das ist nicht mein Ding.”
Ein ehrenwerter Held. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Sein Jubel fiel dezent bis gar nicht vorhanden aus, weil er zu viel Frust in sich mit herumschleppte. Das genaue Gewicht aller Zweifel, Anspannung und Wut der vergangenen Tage seit dem Portugal-Spiel betrug exakt: 300 Kilogramm. So die Selbstauskunft von Gomez. Natürlich war die tagelange Diskussion nach seinem Siegtor gegen die Portugiesen und die anschließende Kritik von ARD-Experte und Bayern-II-Trainer Mehmet Scholl („Ich hatte zwischendrin Angst, dass er sich wund gelegen hat, dass man ihn wenden muss”) nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. „Es war Druck ohne Ende, das waren 300 Kilogramm auf den Schultern”, bekannte am späten Mittwochabend in der schwül-heißen Nacht von Charkiw. „Schade, dass sowas passiert. Aber damit muss ich mich auseinandersetzen. Es war nicht einfach, wir gewinnen gegen Portugal, du schießt das Tor und denkst: ,Du bist jetzt angekommen bei der EM’ und kriegst dann drei Tage nur auf die Fresse. Das ist nicht schön." Milde formuliert.
Der Beistand von Bundestrainer Joachim Löw (Gomez: „Ich bin froh, dass die wichtigen Leute hinter mir gestanden sind wie der Trainer”) und der gesamten Mannschaft halfen ihm. Zuspruch von der Truppe, Zuspiele von Bastian Schweinsteiger, ein enger Kumpel noch dazu – fertig war der Sieg gegen die Holländer. Und mit seinen Treffern 24 und 25 in seinem 54. Länderspiel dürfte Gomez endgültig den schweren Rucksack abgelegt haben. Er ist Führender der EM-Torschützenliste, hat mit den drei so unterschiedlichen Treffern sein komplettes Stürmer-Repertoire gezeigt.
Die kommenden drei Tage bis zum letzten Gruppenspiel gegen Dänemark in Lemberg (20.45 Uhr, ARD live, Experte: Mehmet Scholl) dürften angenehmer werden. Denn nun verbeugen sich alle vor Gomez. Selbst Kritiker Scholl. „Ich bin stolz auf Mario. Einsatz und Erfolg haben zusammengepasst”, lobte der Ex-Nationalspieler in „Bild”. ZDF-Experte Oliver Kahn sagte im Spaß zur AZ: „99 Prozent aller Mittelstürmer hätten sich bei der Aktion vor dem ersten Tor beide Beine gebrochen.”
Es war Schweinsteiger (11,95 Kilometer gelaufen, 62 gespielte Pässe, davon kamen 78 Prozent an), der ihm den Ball in die Gasse gespielt hatte – jedoch nicht ganz stürmergerecht. Denn Gomez musste noch eine Pirouette hinlegen – gekonnt. Der Passgeber staunte: „Ich konnte am Anfang gar nicht jubeln, ich war total geschockt von Marios Aktion. Das habe ich noch nie bei ihm gesehen. Wenn er solche Aktionen noch öfter macht, müssen wir aufpassen, dass er nicht bald nach Brasilien geht...” Mario und Bastian – zwei gute Kumpel, zwei schöne Schocker. Eleganz und Sicherheit – so soll es auch gegen die Dänen weitergehen, denn laut Schweinsteiger weiß das Team: „Wenn wir den Ball nach vorne geben, dann ist Mario da. Im Sechzehner ist Mario Weltklasse!”