Löws Thiago: Ilkay oder nix

Glasgow - Ilkay Gündogan wird sich dieser Tage vermutlich oft fragen: Was wäre gewesen, wenn? Habe ich doch alles richtig gemacht? Würde ich aktuell beim FC Bayern Stammspieler sein? Neben Xabi Alonso und Thiago? Als Nachfolger von Bastian Schweinsteiger?
Es ist schon kurios, wie das (Fußballer-)Leben im Falle des 24-Jährigen spielte. Gündogan hatte sich bereits von Borussia Dortmund verabschiedet, wollte einen Neuanfang bei einem anderen Verein. Sein Berater und der Mittelfeldspieler pokerten hoch – und mussten am Ende den Gang nach Canossa antreten. Der BVB nahm den Abtrünnigen wieder auf, verlängerte sogar seinen Vertrag bis 2017, Thomas Tuchel integrierte ihn in sein System. Ein verlorener Sohn, der doch nie ganz weg und verloren war – höchstens gedanklich. Ganz der Alte? Nein, mit ganz neuem Elan und Esprit. Der Neustart beim FC Barcelona oder gar beim FC Bayern war nur ein zeitweises Hirngespinst. Statt Gündogan mischt in München nun Arturo Vidal mit – und die Gegenspieler auf.
Die Länderspiele gegen Polen und in Schottland brachten einen großen Gewinner: Gündogan. Er prägte das Spiel der Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw wie kein anderer. Ein rasanter Aufstieg innerhalb von nur wenigen Tagen. Und das nicht nur wegen seines Siegtreffers zum 3:2 gegen die Schotten. „Ich hatte mit dem Innenpfosten etwas Glück“, sagte Gündogan in Glasgow über seinen vierten Treffer im 13. DFB-Einsatz.
Der Stammplatz ist gesichert. Im Grunde schon vor der Partie. Denn solch ein explizites Lob wie dieses spricht Löw selten aus: „Ilkay ist einfach für uns, gerade auch im Hinblick auf die EM und die WM 2018, ein wahnsinnig wertvoller Spieler, der kaum zu ersetzen sein wird, wenn er so in Form ist.“ Solch eine Lobhudelei samt Stammplatzgarantie erinnert an Pep Guardiola und seinen Ausspruch „Thiago oder nix!“ Kaum zu ersetzen, sagte Löw. Mit anderen Worten: Ilkay oder nix! Die Konkurrenz im Mittelfeld wird es vernommen haben. Und das obwohl Gündogan keinen Weltmeister-Bonus hat, nicht zum dekorierten Kreis der zentralen Mittelfeldspieler gehört. Da ist Schweinsteiger, Löws neuer Kapitän, der Anführer und Vorkämpfer. Da ist Toni Kroos, die Passmaschine. Und Sami Khedira, der aktuell verletzte Zweikämpfer, früher oft ein Motor dieser Mannschaft. Von Christoph Kramer, dem Zufallsfinalteilnehmer samt Knockout, ist kaum mehr die Rede. Wegen Gündogan.
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Die Geschichte des Deutsch-Türken ist die einer sportlichen Wiederauferstehung. Erst eine Operation erlöste ihn nach einer langwierigen Rückenverletzung. Er hätte seinen Platz im WM-Kader sicher gehabt. „Ilkay ist fast wieder in der Verfassung, in der er vor zwei Jahren war“, schwärmte Löw, „er hat wieder die Dynamik, dieses Tempo in den Aktionen, diese Beweglichkeit, die er vor der Verletzung hatte.“ Was dieser in Glasgow bestätigte. Gündogan war der spielbestimmende Mann im Mittelfeld. Schnelle, kurze Bewegungen und Drehungen. Die Wahrnehmung des Raumes und das Antizipieren der Situationen.
Im Grunde ist der Dortmunder der idealtypische Guardiola-Spieler. Nun formt ihn Tuchel zur Weltklasse. So kann’s gehen. Mit dem Nicht-Wechsel hat Gündogan eine Ausfahrt nicht genommen, womöglich sogar verpasst, wie viele Kritiker ihm vorwarfen. Dennoch ist er nun mehr denn je in der Spur. „In mir steckt noch viel Potenzial“, meinte Gündogan: „Generell bin ich auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Es werden tolle Aufgaben in den nächsten Monaten. Hoffentlich mit einer tollen EM. Darauf freue ich mich.“ Das darf er.