Löws leiser Held: Warum Kroos wichtig ist wie nie
Évian/München - Um die Bedeutung von Toni Kroos für das deutsche Spiel zu verstehen, reichte ein Blick auf den erlösenden Moment am vergangenen Samstag. Jonas Hector hatte gerade den letzten Elfmeter an Gigi Buffon vorbei ins Tor gemogelt und für einen Jubelsturm bei den deutschen Spielern gesorgt. Sie sprinteten los, um Hector zu umarmen, auch Manuel Neuer, der andere Held, wurde wild besprungen und gedrückt, die pure Ekstase. Und was machte Toni Kroos in diesem Moment? Der stand neben Bastian Schweinsteiger am Mittelkreis, pustete einmal kräftig durch und klatschte in die Hände. Mission erfüllt. Weitermachen.
Toni Kroos wird nie der Mann der großen Emotionen sein, aber das muss er auch nicht. „Ich kenne keinen Spieler, der so cool ist wie der Toni“, sagte Joachim Löw am Montag über seinen Regisseur: „Er kann das Spiel mit seiner Technik in richtige Bahnen lenken, er ist ein großer Stratege.“ Und angesichts des enormen Verletzungspechs im deutschen Team nun noch wichtiger für Löw. Denn neben Sami Khedira droht auch Bastian Schweinsteiger am Donnerstag im Halbfinale gegen die Franzosen auszufallen. Es wird an Kroos liegen, das Zentrum des Spiels zu beherrschen – und einen seiner jungen Assistenten, Julian Weigl oder Emre Can, anzuleiten.
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Dass Kroos längst das Format besitzt für die Chefrolle in der Weltmeister-Mannschaft, hat er nicht nur in den vergangenen beiden Jahren bei Real Madrid bewiesen (Champions-League-Sieg in dieser Saison), sondern auch bei der EM. Kroos’ Passstatistik von 94 Prozent angekommener Zuspiele bei 557 Versuchen lässt jeden anderen Spieler verblassen, seine Übersicht und die exquisiten Seitenverlagerungen mit beiden Füßen bringen selbst frühere Ballzauberer wie Johan Micoud ins Schwärmen. „Ich bewundere Toni Kroos. Jedes Mal, wenn er einen Ball abspielt, bietet er sich wieder in einem freien Raum an“, sagte der Ex-Bremer beim französischen Sender L’Equipe 21. Kroos begeistert, Kroos dirigiert – und Kroos übernimmt Verantwortung.
Im Viertelfinale gegen Italien spielte der 26-Jährige über weite Strecken nicht so dominant wie im bisherigen Turnierverlauf. Das lag auch an der Einwechslung Bastian Schweinsteigers, dessen Präsenz den eher schüchternen Kroos zu hemmen schien. Nicht zum ersten Mal übrigens. Doch im Elfmeterschießen, als es darauf ankam, stellte sich Kroos, verwandelte den wichtigen ersten Elfmeter. 2012 im verlorenen Champions-League-Finale gegen Chelsea hatte sich der damalige Bayern-Star vor einem Strafstoß gedrückt. Doch diese Zeiten des Mitlaufens sind für Kroos vorbei. Er ist jetzt ein Entscheider, Löws leiser Held.
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Es kommt daher nicht überraschend, was am Montag in England gemeldet wurde. Laut der Zeitung „The Sun“ ist Manchester City, der neue Klub von Pep Guardiola, bereit, 75 Millionen Euro für Kroos zu zahlen. Dessen Vertrag gilt noch bis 2020, sein Marktwert wird auf 50 Millionen taxiert. Guardiola arbeitete mit Kroos bei den Bayern erfolgreich und harmonisch zusammen, dennoch scheint ein Wechsel unwahrscheinlich: Warum auch sollte Real einen solch überragenden Spieler verkaufen wollen?
„Wenn ich anfange, jedes Gerücht zu kommentieren, komme ich da nicht mehr raus“, sagte der Umworbene zuletzt völlig entspannt. Diesen Kroos bringt einfach nichts aus der Ruhe. Weder Pep – noch ein Sieg gegen Italien.