Löw vor Spiel gegen EM-Gastgeber: "Testen, sehen, probieren"
München / Paris - Der Bundestrainer kommt spät, aber mit guter Laune. Irgendwie beschwingt wirkt Joachim Löw, als er der Presse im Fünf-Sterne-Hotel Radisson Blu Boulogne zum Testspiel seiner Mannschaft am Freitagabend (21 Uhr, ARD) im Stade de France Auskunft gibt. Er spricht über prominente Comebacker (Gomez), noch mäßig bekannte Newcomer (Sané) und über zurückgetretene, ehedem „wahnsinnig gute Ansprechpartner“ (Niersbach). Und er gibt seiner Mannschaft praktisch Persilscheine für die beiden letzten Spiele des Jahres, also auch für die Partie am Dienstag gegen die Niederlande: „Wir wollen testen, sehen, probieren – unabhängig von allen Ergebnissen, ganz ehrlich.“ Will sagen: Von mir aus verlieren wir haushoch, Hauptsache ich nehme dafür ein paar schöne Erkenntnisse mit für die EM im nächsten Jahr.
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Testspiel im EM-Finalstadion
Am 10. Juli findet nämlich in eben jenem Stade de France im eher ungastlichen Norden von Paris das EM-Finale statt, und wer Joachim Löw so über die Équipe Tricolore reden hört, der sieht plötzlich ein Gipfeltreffen der Giganten vor sich: Weltmeister gegen Gastgeber – was für eine Show! Es könnte das Spiel werden, bei dem die DFB-Elf einen Makel tilgt.
Denn: Von den bisherigen 26 Duellen gegen Les Bleus konnte die DFB-Auswahl neun für sich entscheiden, sechs endeten Remis, elf gingen verloren. Ein Sieg im Testspiel und noch einer im Finale würde die Bilanz wieder ausgleichen. Doch für Löw gehört die Mannschaft von Coach Didier Deschamps zu den „absoluten Top-Favoriten“ auf den EM-Titel. „Insofern hat die Partie eine besondere Brisanz“, sagt Löw und schwärmt ausführlich: „Frankreich ist besser als bei der WM, reifer, technisch wahnsinnig gut, unglaublich dynamisch, mit sehr guten Einzelspielern. Zuletzt habe ich kaum eine Mannschaft gesehen, die mit so einer Zielstrebigkeit versucht, Angriffe abzuschließen. Sie haben mich wirklich beeindruckt.“
Auch das Chaos um seinen alten Weggefährten Wolfgang Niersbach ging nicht spurlos an Löw vorüber: „Das beeinflusst mich vor allem als Mensch. Den Wolfgang habe ich wahnsinnig geschätzt. Wir hatten ein sehr enges, gutes und vertrautes Verhältnis.“ Seine Arbeit als Bundestrainer belaste dies jedoch nicht. Man habe der Mannschaft „eine kleine Aufklärung in aller Kürze“ gegeben und wünsche sich nun eine „klare, schnelle und umfangreiche Aufklärung in dieser Sache“, so Löw.
Das sagt Bundestrainer Löw vor dem Frankreich-Spiel
Comeback von Mario Gomez? Alles ist möglich!
Was die Aufstellung gegen Frankreich angeht, bleibt der Weltmeister-Coach im Ungefähren: „Ich habe noch keine Idee. Sechs, sieben Position sind klar, auf drei, vier Position ist alles möglich.“ Also auch ein Comeback von Mario Gomez? Löw sagt: „Er macht einen sehr guten, sehr austrainierten Eindruck. Er hat die unglaubliche Motivation, es diesmal zu schaffen zur EM. Man sieht seine Qualitäten.“ Der 14 Monate lang nicht berücksichtigte Stoßstürmer fühlt sich jedenfalls bereit: „Ich freue mich auf jedes Spiel“, sagte der Ex-Bayern-Torjäger.
Noch schwärmerischer gerät Löws Eloge über den Schalker Leroy Sané, dem er trotz seiner erst 19 Jahre zutraut, „dass er den Sprung zu uns relativ schnell bewältigen kann“. Sané sei ein „Spieler mit einer besonderen Gabe“, verfüge über „raffinierte Laufwege und ein gutes Gefühl für offene Räume“.
Warme Worte gab’s auch für den mittlerweile fast chronischen Rekonvaleszenten Sami Khedira: „Ich denke, dass Sami jetzt wieder bereit ist. Er hat einen guten, aggressiven Eindruck im Training gemacht“, so Löw über den potenziellen Partner von Bastian Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld, „er nähert sich seiner Form, die er schon mal hatte.“ Zum Beispiel beim 2:1 am 6. Februar 2013. Da traf Khedira in Paris zum ersten DFB-Sieg in Frankreich nach 78 Jahren.