Löw verkündet Teststopp: Jetzt Einspielen für die EM
Joachim Löw lachte und scherzte am Ende seiner detaillierten Ausführungen zum Testspielsieg seiner sehr bemühten Azubis gegen Tschechien.
Das 1:0 (1:0) hellte die Stimmung beim konsequent Kurs haltenden Bundestrainer und der aktuell extrem kritisch beäugten Fußball-Nationalmannschaft im tristen Corona-Herbst erkennbar auf. "Wir haben in der Kabine durchgeatmet", berichtete Löw beschwingt in der Leipziger Arena, als es auf Mitternacht zuging und längst mehrere Rasenmäher über das ramponierte Spielfeld knatterten.
Kurz vor Zwölf ist es plötzlich nicht mehr. Vielmehr lockt in den Nations-League-Partien gegen die Ukraine am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) wiederum in der zuschauerlosen Red Bull Arena und drei Tage später in Sevilla gegen Spanien die Aussicht, mit dem Gruppensieg und Einzug ins Final-Four-Turnier die von DFB-Direktor Oliver Bierhoff beklagte "dunkle Wolke" vor dem Start in ein ungewisses EM-Jahr 2021 ein Stück weit zu vertreiben. "Ich glaube, das ist nicht die Hauptaufgabe dieser Mannschaft gewesen, weil wir doch eine sehr durchgewürfelte Mannschaft waren", bemerkte Aushilfskapitän Ilkay Gündogan.
Die Elf für einen Abend um Torschütze Luca Waldschmidt schlug sich wacker und hätte durchaus mehr Publikum verdient gehabt als jene fünfeinhalb Millionen Zuschauer, die bei der RTL-Übertragung am Mittwochabend noch vorm Fernseher saßen und für eine Minusquote seit mindestens 20 Jahren bei einer Länderspielübertragung sorgten. "Sie haben sich richtig reingeworfen", lobte Löw seine Testkicker. Einen Stimmungswandel und neue EM-Vorfreude aber müssen die etablierten Stars um Kapitän Manuel Neuer, Serge Gnabry, Leroy Sané oder Timo Werner auslösen, die am Donnerstag wieder das Kommando übernahmen.
Löw verkündete darum einen sofortigen Teststopp. "Einspielen ist jetzt ein wichtiges Thema", sagte der 60-Jährige. Das unterstrich er mit der Maßnahme, Abwehrchef Niklas Süle nach dem vorzeitigen Ende der Corona-Quarantäne gemeinsam mit dem Bayern-Block nach Sachsen anreisen zu lassen. Gegen die Ukraine soll - mit Ausnahme des nach zwei Gelben Karten gesperrten Toni Kroos - möglichst ein EM-Gerüst auf dem Feld stehen. "Wir haben jetzt noch zwei Spiele und dann im März noch mal drei. Und dann ist die Nominierung und die Vorbereitung für die EM", schilderte Löw: "Natürlich geht es ums Einspielen."
Und um den Gruppensieg in der Nationenliga. "Die Chancen sind noch vorhanden. Gegen die Ukraine ist es ein vorentscheidendes Spiel. Wenn wir gewinnen, sind wir in einer guten Position", sagte Löw. Dann käme es gegen die einen Punkt besseren Spanier zu einem Endspiel um Platz eins. "Wir wollen gegen die Ukraine gewinnen - ganz klar!", sagte der Gladbacher Florian Neuhaus, Deutschlands Bester gegen Tschechien.
Nur Siege verschaffen bekanntlich Selbstbewusstsein. Frag nach in München bei den Dauersiegern des FC Bayern. "Jedes Spiel, das man gewinnt, gibt ein gutes Gefühl", sagte Löw. Nach vier verschenkten Siegen im September und Oktober liest sich die jüngste DFB-Bilanz nach dem Erfolg am Mittwochabend schon wieder anders. "Wir haben schon die Ergebnisse gebracht", konnte Löw ausdrücklich betonen. In den vergangenen zwei Jahren wurde von 18 Länderspielen nur eines verloren - beim 2:4 in Hamburg gegen Holland im September 2019.
Löw mag den Fußball aber auch im 15. Bundestrainerjahr nicht auf das nackte Ergebnis reduzieren. "Das Wie ist mitentscheidend." Das passte beim letzten Experiment 2020 mit zahlreichen Frischlingen um die Debütanten Philipp Max (27) und Ridle Baku (22). "Beide waren intensiv unterwegs", lobte Löw. Max legte Waldschmidt sogar das Tor auf und schwärmte: "Es ist ein ganz besonderer Tag für mich."
"Angetan" war Löw vor allem von den Leistungen des zielstrebigen Neuhaus (23) im Mittelfeld und von Robin Koch (24), der ihn als Abwehrchef in der Dreierkette überzeugte. Beide kommen einem Platz im EM-Kader näher. Punkten beim Bundestrainer konnten auch Torschütze Waldschmidt, dem er "eine große Torgefahr" bescheinigte, sowie Torwart Kevin Trapp, der seinen ersten Sieg im DFB-Tor mit einem tollen Reflex bei einem Kopfball von Matej Vydra festhielt. "Der war schwer zu halten, das hat er klasse gemacht", lobte Löw den Torwart von Eintracht Frankfurt, der aktuell mit Bernd Leno vom FC Arsenal um den Platz als dritter EM-Keeper kämpft.
Im Prinzip lobte Löw alle Probanden, die sich gegen recht harmlose Tschechen präsentieren durften - mit einer Ausnahme. An Julian Brandt richtete der DFB-Chefcoach eine EM-Warnung. "Ich erwarte mir von ihm den nächsten Schritt", sagte Löw. Er verriet bewusst, dass er erst am Spieltag ein Gespräch mit dem 24-jährigen Dortmunder geführt hatte.
"Er hat so viel Können." Aber Löw fordert von Brandt Konstanz und eine bessere Abschlussquote. Drei Treffer in 34 Länderspielen sind viel zu wenig. Gegen Tschechien versemmelte Brandt unkonzentriert eine Großchance. "Er ist ein bisschen schwankend in den Leistungen", monierte Löw. Das gilt aber immer noch für das gesamte Nationalteam.
© dpa-infocom, dpa:201112-99-302953/5