Löw & Co in Moskau: Ein ganz anderes Spiel

Die WM-Qualifikation in Russland findet auf Kunstrasen statt. Bundestrainer Joachim Löw lässt’s in Mainz üben.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Auf Bastian Schweinsteiger & Co. wartet am Samstag im Moskauer Luschniki Stadion ein gepflegter Kunstrasenplatz.
dpa Auf Bastian Schweinsteiger & Co. wartet am Samstag im Moskauer Luschniki Stadion ein gepflegter Kunstrasenplatz.

Die WM-Qualifikation in Russland findet auf Kunstrasen statt. Bundestrainer Joachim Löw lässt’s in Mainz üben.

MAINZ Ordnung muss sein. Erst recht auf einem solch exklusiven Untergrund. Und so ist auf dem Verbotsschild hinter dem Mainzer Bruchwegstadion genau aufgeführt, was auf dem neuesten Sportplatz nichts zu suchen hat: Zigaretten, Kaugummis, Flaschen, aber auch Fußballschuhe mit langen Schraubstollen. Heiße Asche, zähe Kaumasse, fiese Scherben oder scharfkantiges Alu sind die natürlichen Feinde des künstlichen Grüns, das der FSV Mainz 05 im Dezember 2007 für 700000 Euro errichten ließ.

Dieser Kunstrasenplatz der dritten und damit neuesten Generation, gebaut von der Bielefelder Firma Heiler Sportplatzbau, mit einem schwimmend verlegten Plastikgras der Marke Fieldturf Tarkett, ein Unternehmen aus Paris, rückt nun in den bundesweiten Fokus. Weil nämlich die deutsche Nationalmannschaft darauf trainiert, um sich für das wichtige WM-Qualifikationsspiel am Samstag in Russland zu präparieren. Auch im Luzhniki-Stadion liegt ein Fieldturf-Produkt mit Namen „Prestige xm" aus, nur sind die Kunststofffasern aus Polyethylen in Moskau sogar 63 statt wie in Mainz 40 Millimeter lang; pro Quadratmeter stattliche 19 statt lediglich sieben Kilo Gummigranulat über dem Quarzsand aufgebracht. Das liegt daran, dass es bei den Russen zwar auch eine Drainage, eine Trägerschicht, aber keine zusätzliche elastische Tragschicht unter der Kunststoffmatte gibt, wie es die deutsche Industrienorm vorschreibt.

Dennoch seien Rollverhalten des Balles und Kraftabbau durch die Spieler identisch, beteuert der DFB per Pressemitteilung. Nur nicht den Eindruck aufkommen lassen, man trainiere von Dienstag bis Donnerstag vier-, fünfmal auf dem falschen Terrain. Die Klarstellung aus der DFB-Zentrale war bester Beleg dafür, welche Brisanz die Platzfrage birgt, die Teammanager Oliver Bierhoff zum „Tabuthema" erklärt hat: „Es darf keine Entschuldigung für uns sein, sich dort schwächer zu fühlen als auf normalem Rasen."

In Wahrheit aber ist die Furcht groß, die Russen verschaffen sich ähnlich wie gegen England in der EM-Quali 2008 einen Wettbewerbsvorteil, schließlich hat es bislang in der deutschen Länderspielgeschichte noch nie ein Spiel auf Kunstrasen gegeben.

Bundestrainer Joachim Löw hat bereits beteuert: „Wir müssen uns eben in der kurzen Zeit darauf einstellen. Diese Situation bedeutet ja nicht, dass wir das Spiel nicht gewinnen können. Der Kunstrasen darf kein Alibi sein.“ Er sagt aber auch: „Im Grunde genommen entsteht auf Kunstrasen ein komplett anderes Spiel. Die Bälle springen anders. Es erfordert eine Umstellung, besonders dann, wenn der Kunstrasen feucht ist und der Ball dadurch schneller wird.“

Andreas Ivanschitz, der Neu-Mainzer, weiß aus seiner Zeit bei Red Bull Salzburg, dass die Gewöhnung ein langwieriger Prozess ist, „deshalb haben wir vor jedem Heimspiel die ganze Woche drauf trainiert“. Die Bälle müssten exakt in den Fuß gepasst werden, „gerade wenn der Platz nass ist, bringen lange Pässe gar nichts – das hat mir der Trainer sogar verboten.“ Ivanschitz' Einschätzung: „Auf Kunstrasen ist es ein ganz anderes Spiel."

Filigrane Spielertypen wie Mesut Özil, die mit Vorliebe direkt und flach kombinieren, braucht man für den Kick auf dem künstlichen Grün. Eine Meinung, die auch der Mainzer Trainer Thomas Tuchel vertritt, der vor wenigen Wochen die A-Junioren zum deutschen Meister machte – mit regelmäßigem Training eben auf jenem jetzt für Löw reservierten Platz: „Das Spiel auf Kunstrasen ist schneller. Der Ball hat ein extrem anderes Absprung- und Rollverhalten. Der Wechsel ist eine absolute Umstellung."

„Wenn ein Feld im Jahr mehr als 800 Stunden bespielt werden muss, ist ein Kunstrasenplatz mittlerweile die beste Lösung“, sagt André Kastigen, der zuständige Experte der Herstellerfirma Heiler, aber der 41-Jährige gibt auch zu: „Gegen einen vernünftig gepflegten Naturrasen kommt immer noch kein Kunstrasen dieser Erde ran."

Frank Hellmann

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.