Lahm, Müller, Schweinsteiger: Der Trotz-Block
Sechs von acht Bayern werden beim Auftakt gegen Portugal in der DFB-Anfangself stehen. Von der Final-Pleite gegen den FC Chelsea wollen sie alle nichts mehr wissen: „Das spielt keine Rolle mehr”
Danzig - Gut, dass die Bayern-Profis im Mannschaftshotel des DFB beliebig durch die TV-Programme zappen können. Selbstverständlich würden sie in den Tagen vor dem Auftaktspiel der Nationalelf gegen Portugal nicht auf die Idee kommen, in die Danziger Altstadt zu spazieren. Gut so. Denn: Dort lauern Gefahren. Weil frische Bilder von EM-Spielen noch fehlen, laufen in den Bars und Kneipen Wiederholungen von großen Spielen der vergangenen Saison. Als Dauerschleife zeigt ein polnischer TV-Sender das Champions-League-Finale der Bayern gegen den FC Chelsea.
An diesem Samstag sind es genau drei Wochen, dass jene Elfmetertragödie zum Schreckenstag der Vereinsgeschichte wurde. Seitdem war Pause für die acht Gepeinigten, die Bundestrainer Joachim Löw am liebsten als strahlende Helden empfangen hätte. Ein Kurzurlaub, ein wenig DFB-Trainingslagerluft, ein Generalpröbchen gegen Israel – und schon ging es zur EM. Einen Titel haben die Bayern in dieser Zeit dennoch geholt: den Verdrängungspokal. Weg mit den bösen Gedanken, auch auf Geheiß von Löw – jetzt ist EM. Was bisher ganz passabel funktionierte. Wenn da nicht die Reporter wären.
Am Donnerstagmittag wurde DFB- und Bayern-Kapitän Philipp Lahm noch einmal auf das „Vize-Triple” angesprochen. „Das spielt keine Rolle mehr”, sagte Lahm und sprach dabei wie von einer Ex-Beziehung und über den bewältigten Trennungsschmerz, „wir sind immerhin ins Finale gegen Chelsea gekommen. Es war eine ordentliche Saison – außer in der Bundesliga, da war der Abstand zu Dortmund zu groß.” Aber, und nun ein für allemal: „Es ist nicht so, dass wir hier deprimiert angereist sind.” Denn: Aus Trauer und Enttäuschung wurden Mut und Motivation. Sowie eine Menge Trotz. Die Bayern sind bei dieser EM Jogis Trotz-Block.
Sechs der acht Mann werden gegen Portugal in der Startelf stehen. „Das Turnier kommt gerade recht”, sagte Stammtorhüter Manuel Neuer, „ich will für die Mannschaft da sein, und wir wollen die große Chance nutzen.” Siege sollen helfen gegen den Chelsea-Blues, der EM-Titel wäre die beste Seelenlinderung. Bloß nicht wieder Zweiter werden!
Jérome Boateng, Holger Badstuber und Lahm sind Teile der Viererkette, Thomas Müller, der dank eines Angebots von Inter Mailand mit einem Wechsel kokettiert, soll über rechts kommen, im Mittelfeld wird Bastian Schweinsteiger die Kommandos geben. Er ist fit. „Ich fühle mich gut, habe keine Probleme mehr und taste mich immer mehr an die Spritzigkeit heran”, sagte der 27-Jährige. Einen letzter Blick zurück aufs Chelsea-Spiel wagte er bei „dfb.tv”: „Es ist sehr, sehr schade, dass wir es aus der Hand gegeben hat. Nach dem 1:0 von Thomas waren wir beinahe schon mit beiden Händen dran am Pokal.” Nun soll es der andere sein, der EM-Pokal. „Ich bin sehr heiß auf das Turnier und das erste Spiel gegen Portugal”, meinte Schweinsteiger.
Auf der Bank werden zunächst Mario Gomez, dessen Albtraum ab und an polnisch spricht und den Namen Miroslav Klose trägt, sowie Toni Kroos sitzen. Der hat auf seinen Schuhen die Namen seiner Hunde Julius und Lennox, zweier Beagle, einsticken lassen. Wenn’s hilft.