„Lacht! Tanzt! Feiert!“
Die 44-jährige Almaz Böhm ist seit 1991 mit Karlheinz Böhm verheiratet und seit 2008 Vorsitzende der von ihrem Mann gegründeten Münchner Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“. In der AZ spricht die Äthioperin über die WM als Hoffnung für ihren Kontinent, falsche Klischees, weißhäutige Automechaniker und ihre Lieblingsspieler vom FC Bayern.
Von Florian Kinast
AZ: Franz Beckenbauer sagte, am Freitag beginne keine WM für Südafrika, sondern für Gesamtafrika. Und immer wieder war zu hören, dass es für die Afrikaner ein Turnier der großen Emotionen werde. Welche Emotion überwiegt bei Ihnen, Frau Böhm? Freude? Skepsis? Angst?
ALMAZ BÖHM: Freude. Einfach große Freude. Weil jetzt endlich eine positive Seite von Afrika gezeigt wird. Weil der Kontinent endlich wahrgenommen wird. Weil die Menschen in der Welt endlich erfahren, dass Afrika nicht nur Krieg ist und nicht nur Hunger. Es gibt noch immer viel zu negative Klischees. Was gibt es Schöneres, als dass die Welt sieht, wie Afrikaner lachen, tanzen, feiern. Da kann man nur sagen, lacht und tanzt und feiert mit uns mit.
Sie glauben also, dass sich das Bild von Afrika durch die WM ändern wird?
Ganz bestimmt. Alle sehen bunte Gesichter und fröhliche Menschen. Afrika ist kein hoffnungsloser, kein verlorener Kontinent. Afrika hat viel unentdecktes Potenzial. Erst kürzlich habe ich im ORF eine Reportage über Südafrika gesehen. Über eine Opernschule in den tiefsten Slums, wo sich Schwarze zum Tenor oder Sopran ausbilden lassen und es dann als Sänger bis nach New York schaffen. Sehen Sie, solche Hintergrundberichte anlässlich der WM vermitteln ein differenzierteres Bild von Afrika. Und deswegen hilft uns das Turnier auch.
Aber hilft die WM wirklich allen Afrikanern? In Südafrika gibt es zwar größere Flughäfen, breitere Autobahnen, schnellere Züge. Die Menschen in den Townships aber klagen über gebrochene Versprechen der Regierung, weil sie noch immer kein Wasser haben und keinen Strom.
Hier ist es wichtig, langfristig zu denken. Natürlich musste das Geld erst einmal in die Infrastruktur gesteckt werden, sonst hätte Südafrika die WM ja gar nicht erst austragen können. Dann hätten sie nie diese Chance bekommen. Langfristig wird sich das positiv auswirken, davon bin ich überzeugt. Wenn weltweit Wirtschaft und Industrie sieht, dass es sich lohnt, in Afrika zu investieren, wenn sie Afrika als Partner auf Augenhöhe sehen, dann werden alle Menschen davon profitieren.
Es sei denn, es passiert doch etwas, wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten, was die Sicherheit angeht. Die Angst vor Kriminalität, vor Massenpaniken.
Mein Gott, wenn man bei jedem Ereignis sofort auf Angst setzt, dann sollte man nicht mehr vor der Haustür über die Straße gehen. Oder wenn ich zum Skifahren gehe, da kann auch was passieren. Deswegen wird niemand erwägen, nicht mehr zu spazieren oder in die Berge zu fahren. Es wird jetzt halt gerne dramatisiert, weil es Afrika ist. Wieder so ein einseitiges Bild. Leider.
Sie sprechen vom Bild, das die weiße Welt vom schwarzen Afrika hat, aber welches Bild hatten Sie denn in Ihrer Kindheit vom Rest der Welt?
Kaum eins. Wir hatten keinen Fernseher, wir kamen ja nicht einmal vom einen Ende Äthiopiens zum anderen. Immerhin, in der Stadt, in der ich groß wurde, gab es eine Klinik mit Ärzten aus Europa. Und es gab eine Werkstatt mit einem italienischen Mechaniker. Das waren die einzigen weißhäutigen Menschen, die ich kannte, von ihnen hatten wir natürlich ein sehr positives Bild. Ein Mensch, der Kranke heilt, so einer ist bei uns ein Heiliger. Und einer, der dein Auto repariert, natürlich auch.
Sie schrieben in Ihrer Autobiographie, der erste Eindruck von Europa sei ein Schock für Sie gewesen.
Das war es auch. Ich kam in der Schweiz an, da sah alles aus wie eine Postkarte. Das grüne Gras, die weißen Berggipfel. Die glänzenden Gebäude, die gepflegten Straßenränder. Ich konnte nicht glauben, dass das alles wahr ist. Eine andere Schönheit als bei uns in Addis Abeba.
Sie sagten, erstmals wohl hätten Sie sich bei einem Heurigen-Besuch mit Ihrem Mann in der Steiermark gefühlt, weil Sie sahen, dass Menschen in Europa doch fröhlich sein können.
Ja, und genau da kann man eben noch viel von Afrika lernen. Wir lachen viel. Oft höre ich da ganz verwunderte Fragen: „Was gibt es bei Euch zu lachen? Ihr seid doch alle arm.“ Aber das Lachen hat nichts mit Reichtum zu tun. Sondern mit der Lebensart, mit Zufriedenheit, Dankbarkeit, auch wenn man weniger Besitztümer hat. Und es hat mit Tapferkeit zu tun.
Wundern Sie sich da, über welche Probleme Menschen in Deutschland manchmal klagen?
Sicher. Das ist es ja. Die Menschen hier sind leider oft zu pessimistisch. Weniger fröhlich als bei uns daheim.
Wann fahren Sie wieder in Ihre Heimat?
Am Samstag, am Tag nach dem Eröffnungsspiel.
Dann schauen Sie dort die WM?
Ja. Wir Äthiopier sind ja die größten Fußballfans der Welt.
Echt?
Ja. Wir haben zwar eine ganz schlechte Nationalmannschaft, die sich nie für eine WM qualifiziert. Aber mitfiebern tun wir alle. Es reicht ja, wenn einer im Dorf Strom hat. Dann kommen alle bei ihm zusammen und versammeln sich vor dem Fernseher und fiebern mit.
Und wem drücken Sie die Daumen?
Den Deutschen.
Ach.
Ja.
Haben Sie Lieblingsspieler?
Ja. Gomez, Lahm, Schweinsteiger.
Alle von den Bayern.
Natürlich. Ich hoffe sehr, dass sie Weltmeister werden. Sehr gefallen hat mir, als sie bei ihrem ersten Training diese Shirts mit „Yebo“ trugen, dem Zulu-Wort für „Ja“. Das war ein positives Signal für sie selbst, aber auch eine Geste gegenüber den Menschen in Afrika.
Eine erste Annäherung. Wird Afrika durch die WM aber auch langfristig an die Welt heranrücken?
Ich hoffe, dass die ganze Welt zusammenrückt. Nicht nur Afrika. Und dass die Menschen nicht mehr denken, dass wir Dritte Welt sind. Wir haben keine Erste Welt, keine Zweite und keine Dritte. Wir haben nur eine Welt.
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