"Keine Rücksicht mehr": Der Jogi-Countdown beim Nationalteam beginnt
Duisburg/München - Nur noch acht. Mindestens. Acht Spiele wird Joachim Löw die deutsche Nationalmannschaft noch coachen, dann ist der Bundestrainer mit den meisten Länderspielen der DFB-Historie Vergangenheit. Die Acht ist jedoch aus der Abteilung Schwarzmalerei, da sie den anstehenden Dreierpack zu Beginn der WM-Qualifikation, zwei Vorbereitungsspiele auf die EM sowie die Vorrunde dieser um ein Jahr verschobenen Endrunde beinhaltet.
Der unschönste aller denkbaren Abschiede
Das Aus nach den drei Gruppenspielen wäre - analog zum blamablen wie historischen Ausscheiden bei der WM 2018 in Russland - ein Desaster. Und der unschönste aller denkbaren Abschiede. Erreicht Löw das EM-Finale, geplant für den 11. Juli in London, käme er auf vier weitere K.o.-Spiele und würde mit dann noch zwölf Partien auf 201 Einsätze für Deutschlands Elite-Auswahl kommen. Der Auftakt der WM-Quali gegen Island, Nummer 46 der Weltrangliste, sollte am Donnerstag in Duisburg (20.45 Uhr, RTL) den 121. Erfolg in Löws 190. Länderspiel bringen – bei bisher 38 Unentschieden und 31 Niederlagen.
Viel Lob seit Bekanntgabe des Rücktritts
Viel Zahlenwerk – dabei geht es beim Jogi-Countdown um Emotionen. Der von ihm vor etwas mehr als einer Woche verkündete Rücktritt nach der EM trotz seines Vertrages bis einschließlich der WM im November/Dezember 2022 in Katar hat die Anti-Löw-Stimmung im Lande etwas gedreht. Viel Lob, viel Ehr' prasselte seitdem auf den 61-Jährigen hernieder. Sein Lebenswerk in DFB-Diensten wurde gepriesen, als wäre er schon nicht mehr im Amt. Allen voran den WM-Titel 2014, aber auch die Tatsache, bei allen Turnieren seit 2008 (mit Ausnahme der WM 2018) mindestens das Halbfinale erreicht zu haben, kann sich Löw ans Revers heften.
Gibt es den ersten EM-Titel seit 1996?
Nun coacht er sein finales Turnier. Ohne Kompromisse in Sachen Kaderzusammenstellung, ohne den Blick in die Zukunft richten zu müssen – siehe das zu erwartende Comeback von Thomas Müller und Mats Hummels im Rahmen der Turnier-Vorbereitung. Eine Abschiedstournee kann befreiende Facetten haben. Paart Löw seine zum Teil überdimensionierte Selbstsicherheit nun mit Entschlossenheit und der nötigen Prise Lockerheit in seinem Führungsstil und im Coaching, könnte der große Wurf gelingen: der erste EM-Titel seit 1996. Der Pokal, der seinen Leitwölfen, sprich Manuel Neuer sowie Toni Kroos (Müller und Hummels?) noch fehlt. Dann wäre auch die Schmach des letzten Länderspiels, des 0:6 im November in Spanien, ein weiterer Tiefpunkt der Ära Löw, vergessen.
Die Spieler wollen ihm einen würdigen Abschluss bereiten
Der angekündigte Weggang soll neue Kräfte freisetzen, soll für personalisierte Motivation sorgen. "Ich will ihm den Abschied bereiten, den er auch verdient", sagte Ilkay Gündogan. Und Neuer meinte: "Wir wollen die erfolgreiche Ära mit einem schönen Abschluss krönen und ihm ein Geschenk machen. Er hat es verdient, mit einem Höhepunkt aufzuhören." Neuer widersprach energisch, dass der Bundestrainer auf Abruf zur "lame duck" - zur lahmen Ente - werden könnte: "Man hat gemerkt, dass er sehr motiviert, ehrgeizig und enthusiastisch ist, er will unbedingt."
Keine Rücksicht auf die Belastung von Vereinen
Gegen Island muss Löw den Coach aus sich herausholen, der eine Mannschaft nur alle paar Monate bei sich hat, den Gelegenheitstrainer geben. "Wir wollen nicht nur mit guten Ergebnissen in die Quali starten, sondern uns den Fans und Zuschauern zu Hause positiv zeigen, nachdem wir mit einer Enttäuschung aus dem Jahr 2020 raus sind", so seine Forderung zur Wiedergutmachung.
Andererseits richtet er den Blick auf die EM und die Vorbereitung ab Ende Mai: "Wir müssen uns möglichst gut einspielen, uns finden." Dabei will er "keine Rücksicht mehr nehmen" auf die Belastung von Spielern oder Vereinen – muss er auch nicht. Auf die Endrunde selbst freut er sich. "Turniere sind für mich das Salz in der Suppe. Das finde ich spannend. Das macht es aus, dann alles herauszuholen." Ein letztes Mal.