"Keine Identifikation mit der Mannschaft": Marken-Experte stellt DFB-Trikot und Strategie infrage

München – Die Debatte um das pinkfarbene Auswärtstrikot der deutschen Nationalmannschaft bei der EM, das den besten Verkaufsstart für ein deutsches Auswärtsdress jemals hinlegte, ist auch nach dem bereits vorbereiteten Konter im dritten Spot von DFB und Adidas nicht abgeebbt.
Christopher Spall, Experte für Identitäts-Entwicklung und Profilschärfung, stellt die Kampagne für die AZ in einen größeren Zusammenhang und hinterfragt konkret die Strategie des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bzw. die von dessen Partner Adidas. Für ihn steht fest: "Die Strategie des DFB, um die Nationalmannschaft als Marke weiterzuentwickeln, fußt auf dem Prinzip der Kommerzialisierung."
DFB und Adidas reagieren auf Shitstorm: Pinkfarbenes Trikot der Nationalelf bleibt Diskussionsthema
In den Farben Pink und lila wird das sogenannte Ausweichtrikot der DFB-Elf gestaltet sein. In den Sozialen Medien sorgte diese Tatsache für reichlich Diskussionsstoff – und teils ätzende Kritik. Auch Marcel Reif äußerte sich sehr zurückhaltend. "Wenn Sie mir versichern, dass das Viertelfinale damit geregelt ist, können sie da noch grüne Äpfelchen draufnähen", sagte der Kult-Kommentar im Sportbild-Talk "Reif ist live".
Soweit so berechenbar: Womit DFB und Adidas dann aber überraschten, war der schnell vorgetragene Konter. Mit einem am Sonntag veröffentlichten, weiteren Marketingvideo reagierten DFB und Adidas auf die Empörung im weiten Rund.
In dem ebenfalls von der renommierten Werbeagentur Jung von Matt vorproduzierten Clip nehmen die Macher die Kritik augenzwinkernd auf die Schippe. In dem Video blenden sie kritische Beiträge aus den Sozialen Medien ein. Wie zum Beispiel Statements wie "Das Trikot will doch keiner haben" oder "Was soll das sein? Ein Fashion-Piece?" Die deutschen Nationalspieler oder auch Model Lena Gercke reagieren dann schlagfertig darauf. Die Vorlage "Das ist doch kein Trikot für Legenden" verwandelt der Bayern-Star zielsicher mit der Bemerkung: "Ich frag mal eine. Rudi?
Zack, ist auch schon DFB-Sportdirektor Rudi Völler im Bild: "Also ich finde schon." Und auf den Vorwurf "Das ist doch kein Deutschlandtrikot" antwortet Florian Wirtz von Bundesliga-Tabellenführer Bayer Leverkusen trocken: "Doch, ist es."
Marken-Experte Christopher Spall: "DFB und Adidas reiten den Megatrend Vielfalt und Toleranz"
Der DFB und Adidas hatten die Trikots am vergangenen Donnerstag vorgestellt: Während das Heimtrikot traditionell vor allem in Weiß gehalten ist, überrascht das Auswärtsleibchen mit pink-lila Farbtönen und einem rautenförmigen Muster: Die neuen Trikots sollen in den Länderspielen am 23. März in Frankreich und drei Tage später gegen die Niederlande getragen werden.

"DFB und Adidas versuchen hier, den Nerv der Zeit zu treffen. Den Nerv der Zeit treffen heißt derzeit vor allem, einen Megatrend zu reiten wie eine Welle – und das ist der Megatrend Vielfalt und Toleranz!", sagt Marken-Experte Christopher Spall im Gespräch mit der AZ. "Ich habe das Gefühl, dass es heute zum Pflichtprogramm für jede Marke gehört, diesen Megatrend zu bespielen und sich mit ihm zu schmücken."
Christopher Spall: "Geht’s jetzt eigentlich um Fußball, oder geht es um Politik?"
Dabei werde häufig vergessen, dass die Menschen Identifikation nicht an einem Trend festmachten, sondern an glaubwürdigen Werten: "Das ist eine Entwicklung, die ich in der Markenwelt generell sehe und der der DFB mit seiner Kommunikation in den letzten Jahren auf den Leim gegangen ist."
Die Spots lobt Spall ausdrücklich als "technisch State of the Art", als "mutig" und "spannend". Die Kommunikation richte sich hier vor allem an junge Menschen und sei "sehr Zeitgeist-getrieben". Hier setzt die Kritik von Christopher Spall an: "Ob der Inhalt der Videos dazu führt, dass sich die Menschen, dass sich die Fans wieder mehr mit der Nationalmannschaft identifizieren, bezweifle ich stark! Geht’s jetzt eigentlich um Fußball, oder geht es um Politik? Hat die Mannschaft, die im pinken Auswärtstrikot aufläuft, dann in erster Linie noch den Job, Leistung zu bringen für ihr Vaterland oder soll sie die Werte Toleranz und Vielfalt auf dem Platz repräsentieren?"
Spall ist sicher: Marken DFB und Adidas sollen im modernen Licht der Vielfalt erscheinen
Als ausgesprochen klug ordnet der Experte als Kopf der Beratungsagentur "Spall macht Marke" den Schulterschluss der beiden Partner DFB und Adidas ein. Selbstverständlich verfolge Adidas mit der Kampagne das Ziel, möglichst viele Trikots (Kostenpunkt 100 Euro bzw. 150 Euro als "Authentic 2024", d. Red.) zu verkaufen, und das Unternehmen richte sich dabei an die Generation Z als Zielgruppe. Aber: Die Marken DFB respektive Adidas sollen so in einem modernen Licht der Vielfalt erscheinen: "Ist es das, was die Fans tatsächlich suchen, um sich mit dem DFB und mit der Mannschaft zu identifizieren? Das ist doch die entscheidende Frage!"
Hat der DFB mit dem vorgefertigten Spot am Sonntag als Antwort auf die zu erwartende Flut von negativen Kommentaren zur Gestaltung des Auswärtstrikots nicht auch gezeigt, dass er sich mit wackligen Knien oder zumindest mit größter Vorsicht auf diesem Feld bewegt, gerade auch angesichts der Diskussion um Manuel Neuers Regenbogen-Binde bei der WM 2022 in Katar, die dann in dem "Mund zu"-Mannschaftsfoto vor dem Gruppenspiel gegen Japan (1:2) gipfelte?
Hat der DFB verstanden, dass er solche Botschaften besser fernab des sportlichen Geschehens präsentiert?
"Ich hoffe, dass der DFB gelernt hat, dass man politische Themen eher abseits des Platzes oder im Vorfeld eines Turniers platziert statt die den Spielern um den Arm zu binden oder als schweren Rucksack auf den Buckel schnallt. Wir haben doch in Katar gesehen, dass das der Mannschaft nicht gutgetan hat, sich unmittelbar vor einem Spiel mit politischen Gesten zu belasten", antwortet Spall der AZ. Es sei auch nicht die Aufgabe dieser Fußballspieler; deren Aufgabe sei es, Leistung zu bringen. "Also genau das, was die Menschen in Deutschland sehen wollen."
Christopher Spall: "Dieses pinke Trikot hat nichts mit der DNA des deutschen Fußballs zu tun"
Seine Hoffnung: Die Professionalität, mit der sich der DFB jetzt gerade in der Öffentlichkeit zeige, könnte ein Hinweis darauf sein, dass der DFB da etwas verstanden habe und solche Botschaften nun eben fernab des sportlichen Geschehens präsentiere.

War der dritte Spot als Retourkutsche auf die teils beißende Kritik insofern ein genialer Schachzug? "Der DFB und Adidas antizipieren hier einfach, dass es eine extrem kontroverse Diskussion geben wird, weil dieses pinke Trikot nichts mit der DNA des deutschen Fußballs zu tun hat. Damit versuchen sie den Malus zu kompensieren, dass dieses pinke Trikot niemals ein Identifikationssymbol sein kann und völlig beliebig erscheint", sagte Spall der AZ.
Christopher Spall: "Strategie des DFB fußt auf dem Prinzip der Kommerzialisierung"
Ganz offensichtlich sind die aktuellen Spots also von Lifestyle und Trends getrieben, "nicht von einer glaubwürdigen deutschen Identität". Für Spall steht fest, dass die Strategie des DFB, um die Nationalmannschaft als Marke weiterzuentwickeln, nur auf einem Prinzip fußt: "Und das ist das Prinzip der Kommerzialisierung. Allerdings haben sich seit 2018 viele Fans von der Mannschaft und dem DFB abgewendet, weil der DFB den Bogen überspannt hat."
Marken-Experte Spall:"Der DFB hat verstanden, dass es jetzt vor allem auf Leistung ankommt"
Der ehemalige DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff habe diese Entwicklung "maßgeblich verkörpert und vorangetrieben", dass der Slogan "Die Mannschaft" eliminiert worden sei, betrachtet Spall als ein erstes Signal: "Der DFB hat verstanden, dass es jetzt vor allem auf Leistung ankommt und weniger auf Inszenierung. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass der DFB sein Auftreten und das der Nationalmannschaft viel stärker auf den traditionellen Grundwerten des Teams aufbaut, dass wir wieder mehr über glaubwürdige Werte der Nationalmannschaft und vor allem über eine überzeugende Leistung sprechen können."
Spall: "Wir haben einen Trainer, der alles auf eine Karte setzen kann und nicht taktieren muss"
Klar ist: Die Gemengelage rund um die EM und drei Monate vor dem Auftaktspiel am 14. Juni in der Münchner Allianz Arena gegen Schottland ist schwierig, für viele Beobachter sogar übel. Unter anderem haben wir mit Julian Nagelsmann einen Bundestrainer, der ins kalte Wasser gesprungen ist, der viele Spieler in einem ohnehin schon verunsicherten Kader ausprobiert und von dem man nicht weiß, ob er nach der EM weitermacht.
"Man kann die Lage auch anders deuten: Wir haben einen Trainer, der alles auf eine Karte setzen kann und nicht taktieren muss im Hinblick darauf, was nach der EM passiert", widerspricht dem Christopher Spall. "Wir haben eine Mannschaft, an die die Erwartungshaltung im eigenen Land auf den Gefrierpunkt gesunken ist, so dass sie nur positiv überraschen kann – und drittens haben wir ein Heimturnier!"

Spall will "Herzblut" sehen, denn darum gehe es bei einer Marke. Nicht umsonst hat ihm an der aktuellen Kampagne am besten gefallen, dass da im ersten Trikot-Spot ("Was ist typisch deutsch?") die Botschaft rüberkam, dass man das bei der WM 2006 in Deutschland erlebte Sommermärchen wieder aufleben lassen wolle.
Christopher Spall: "Also, lieber DFB, zeigt uns die echten Werte der deutschen Mannschaft, mit denen wir viermal Weltmeister geworden sind! Lieber DFB, zeigt uns die deutsche Kämpfernatur im richtigen Moment. Lieber DFB, zeigt uns die Rationalität in schwierigen Spielsituationen. Zeigt uns aber auch das Unverbrauchte unserer neuen Talente, und füllt unsere Trikots mit diesem Geist, mit dieser DNA – dann ist völlig wurscht, ob das Trikot weiß oder grün oder pink ist!"
"Wieder ne politische Botschaft": So reagieren sie im Netz auf den DFB-Video-Return
Hat sich der Deutsche Fußball-Bund mit der Entscheidung für ein EM-Ausweichtrikot in Pink angesichts des so entfachten Shitstorms einen Gefallen getan? Oder haben der DFB und sein Partner Adidas damit eine kalkulierte, kluge Kampagne inklusive bereits vorgefertigter Retourkutsche gefahren? Die Nutzer sind sich da nicht ganz einig...
Das Video wird in den Sozialen Netzwerken viel und zumeist positiv diskutiert, am Dienstagnachmittag hatte es auf Instagram rund 243.000 Gefällt-mir-Angaben eingesammelt, auf Youtube gab es bis dahin rund 37.000 Aufrufe und etwa 500 Kommentare.

Aber natürlich legten die Kritiker nach. "Ist das ein wenig Satire? Wer hat dazu auch noch Major Tom als Jingle ausgewählt? "Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff schwerelos!" Ich liebe den Song. Aber Chapeau … das passt wirklich ausgezeichnet zu dieser erneut etwas abgehobenen außerirdischen Entscheidung, unsere 'Top Kicker' in einem rosa Trikot auf den Platz zu jagen, mit dem jede Kreisligatruppe maulend die Arbeit verweigern würde. Um mit einem Zitat aus dem Schlusssatz zu Major Tom abzuschließen: "Mir wird kalt!", schildert Youtube-Nutzer "@Nesquik82" seine Gefühle.
User-Kritik: Das neue DFB-Video macht Baustellen auf "die keiner braucht"
Und "@zackbum9159" findet das Trikot nach eigenen Angaben eigentlich ganz schick: "Aber die Intention, dass damit wieder ne politische Botschaft (Vielfalt etc..) gesendet werden soll, geht mir Gottverdammt gehörig auf den Sack!" Und "@TankCowIvan" hebt auf die enttäuschenden Leistungen der DFB-Kicker ab: "Wenn drei Minuten Werbevideos mehr Begeisterung für den DFB auslösen, als die letzten zehn Jahre Fußball zusammen."
Instagram-User "uri_menke", ganz offensichtlich Managing-Partner einer Werbeagentur in Oldenburg, sagt zu dem Video-Return der Macher: "Wenn man sofort einen Viral machen muss, um Akzeptanz zu schaffen, ist es schlicht nicht das richtige Trikot. Wir machen für unsere Kunden vorher eine kleine Mafo, und dann passiert so was gar nicht erst. Aber hier sagt einem auch ohne Mafo der gesunde Menschenverstand, dass dieses Trikot eher wieder vom Fußball ablenkt und Baustellen aufmacht, die keiner braucht." Mit "Mafo" wird hier der Begriff Marktforschung abgekürzt.
Der hessische Grünen-Politiker "philip.kraemer" lässt hingegen seiner Begeisterung freien Lauf: "Das ist ja grandios! Da haben @dfb_team und @adidas Marketing und Empörungsgesellschaft mal eben durchgespielt." Und auf der Plattform X (vormals Twitter) lobt Schauspieler Marcus Mittermeier die Macher.
User "freumalt" knöpft sich bei Instagram die Marketing-Strategie von DFB und Adidas vor: "Es ist allerdings sehr schade, dass man bewusst auf diese Farbe gesetzt hat, um zu polarisieren und eine Debatte auszulösen. Aber eigentlich wäre es doch angebracht gewesen, bei einer Heim-EM die Leute zusammenzuführen, anstatt zu spalten. Sommermärchen 2.0 soll es werden. So @adidasberlin habt ihr genau das nicht erreicht. Da hilft auch das sarkastische Video nicht. Bewusst wurde ein quasi-politisches Statement gesetzt, anstatt eine tolle Euphorie aufzubauen. Das muss man hier kritisieren. Ganz gleich, ob man Pink in einem Trikot toll oder grässlich findet."
Neuer DFB-Clip: "Marketingtechnisch natürlich brillant, aber genau sowas nervt am Sport"
Das findet auch "teejay_o1": "Ist Provokation das neue Image vom DFB oder so? Weil mittlerweile wirkt das Ganze so provokant und unsympathisch. Hauptsache politische Statements setzen. Ekelhaft dieses Land. Gründet doch euren eigenen pinken Verein, da könnt ihr machen, was ihr wollt."

Und "nordischnomade" ergänzt: "Ganz 'spontane' Kampagne nach dem überraschenderweise nicht so gutem Feedback auf die Präsentation des Trikots… Die Kampagne beweist, dass es nicht darum ging, ein gutes Trikot zu gestalten, sondern einen Shitstorm zu erzeugen, auf den man in einer nachgelagerten Kampagne reagiert und sich moralisch davon abhebt und sich für einen 'neuen Weg' positioniert. Marketingtechnisch natürlich brillant, aber genau sowas nervt am Sport…"