Kein Klose: Warum Flick Werner trotzdem verteidigt

Hamburg – Manchmal sagt ein Bild mehr als 1.000 Worte. Und weil sämtliche Kameras und Fotoobjektive am Sonntagvormittag auf den Platz beim Abschlusstraining der Nationalelf gerichtet waren, legte Bundestrainer Hansi Flick einem Spieler ganz demonstrativ und ganz väterlich seinen Arm um die Schulter und suchte das persönliche Gespräch: mit seinem großen Sorgenkicker Timo Werner.
Doch Flick macht das nicht aus Show. Die Aktion war Mittel zum Zweck, emotionale Aufbauarbeit für den gescholtenen Mittelstürmer, Teil eins. In der Pressekonferenz vor dem Abflug der Nationalelf am Nachmittag nach Skopje zum WM-Qualifikationsspiel gegen Nordmazedonien am Montag (20.45 Uhr, RTL) stärkte der 56-Jährige dem Chelsea-Angreifer erneut den Rücken. "Ich habe Timo explizit vor der Mannschaft gelobt für sein Engagement und seinen Einsatz", berichtete Flick und betrieb damit Teil zwei der emotionalen Aufbauarbeit. "Timo erfüllt seine Aufgaben sehr gut", erklärte Flick mit Blick auf das Rumänien-Spiel (2:1) am Freitag und konkretisierte: "Räume kreieren, in die Tiefe gehen - das hat er wirklich gut gemacht. Wir unterstützen ihn."
Schwalbe? Flick nimmt Werner in Schutz
Dass Werner sich Vorwürfen aussetzen musste, in der Anfangsphase nach einem Laufduell eine Schwalbe produziert zu haben, ärgerte Flick. Das sei "nicht fair" und bei diesem Tempo reiche "ein kleiner Kontakt, um aus dem Tritt zu kommen". Tatsächlich brauchte es drei Minuten bis der Schiedsrichter nach Einschreiten des VAR und eigenem Studium der TV-Bilder seinen Elfmeterpfiff wieder zurücknahm.
Dennoch agierte der frühere Leipziger in seinem 46. Länderspiel (19 Tore) unglücklich, kam nie richtig zum Abschluss (kein Torschuss) und konnte nicht recht ins Kombinationsspiel finden mit den anderen Offensivspielern Serge Gnabry, Leroy Sané und Marco Reus. Flick hat sich offenbar zur Aufgabe gemacht, den 25-Jährigen, der in Chelseas Star-Ensemble um Romelu Lukaku meist nur zweite Wahl ist, immer wieder zu bringen und gegen kritische Nachfragen zu verteidigen.
Flicks Mini-Kritk: "Er hatte vielleicht nicht immer die Positionierung"
Auf den Einwand eines Reporters bei der Video-Pressekonferenz am Freitag, Werner sei ja kein klassischer Mittelstürmer wie etwa Bayerns Robert Lewandowski konterte Flick: "Was ist ein klassischer Mittelstürmer? Definieren Sie das bitte!" Flick weiter: "Ich möchte Timo mal herausheben: In Leipzig hat er in jedem Jahr mindestens 25 bis 30 Torbeteiligungen gehabt. Timo ist durchaus in der Lage, da wo es eng ist, immer wieder die Räume zu öffnen, und er ist einer, der Abpraller reinmachen kann. Dafür hat er ein Näschen." Der einzige Kritikpunkt: "Er hatte vielleicht nicht immer die Positionierung, die man braucht. Er hat zu nah am Tor agiert statt reinzustarten. Das kann er besser machen und das erwarten wir auch von ihm. Da müssen wir die Abläufe nochmal trainieren."
Auch Serge Gnabry sprang - von Schwabe zu Schwabe (beide sind in Stuttgart geboren) - Werner zur Seite. Er betonte: "Wir stehen alle hinter Timo." Denn: Werner sei "vielleicht nicht Lewandowski, der klassische Mittelstürmer. Aber er hat seine Qualitäten, schießt viele Tore, ist schnell und macht gute Laufwege. Das ist genau so wichtig." Und überhaupt, ob im Training oder im Spiel, Werner "gibt Gas, hängt sich rein".
Der DFB hat keinen klassischen Mittelstürmer
Ein klassischer Mittelstürmer wie einst Miroslav Klose wird beim DFB vermisst. Am Freitagabend hielt ein Fan auf der Tribüne ein Plakat hoch mit der Frage "Hey, Hansi! Wo ist Terodde?" Gemeint war Zweitliga-Torjäger Simon Terodde von Schalke 04. Nett gemeint.
Werner wird am Montag in Skopje beginnen. Schließlich hatte Flick gesagt: "Er kriegt bei uns die Einsätze, die er braucht. Er kriegt die Rückendeckung, das ist für einen Stürmer einfach auch mit das Wichtigste." Damit er im fünften Spiel unter Flick sein viertes Tor erzielt. Mindestens.