Kampf ums DFB-Herz: Ilkay Gündogan, Joshua Kimmich und Leon Goretzka streiten um zwei Plätze

Boston – Leon Goretzka (28) riss die Arme nach oben, er jubelte, als hätte er gerade ein wichtiges Tor geschossen. Dabei war es nur die Latte, die der Mittelfeldstar getroffen hatte, ehe er den Ball per Aufsetzer ins leere Tor köpfte. Doch genau darum ging es eben bei diesem kleinen Spielchen nach dem Training in Foxborough, das Goretzka gegen seine Teamkollegen Joshua Kimmich (28), Pascal Groß (32) und Jonas Hofmann (31) gewann. Anschließend spazierte er zufrieden vom Platz.
Goretzka, der von Ex-Bundestrainer Hansi Flick (58) im September nicht in den Länderspielkader berufen worden war, ist in den Tagen der US-Reise die besondere Motivation anzumerken. Er weiß: Unter Flick-Nachfolger Julian Nagelsmann (36), den er vom FC Bayern gut kennt, hat er eine bessere Chance auf Einsatzzeit. Aber er weiß natürlich auch: Es wird schwer – denn in kaum einem anderen Mannschaftsbereich ist das Gerangel um einen Stammplatz so groß wie im zentralen Mittelfeld.
"Nicht viel Zeit zum Experimentieren": Findet das DFB-Mittelfeld vor der EM zusammen?
Immerhin hat es Goretzka auf der Doppelsechs mit Kapitän Ilkay Gündogan (32) und Bayern-Star Joshua Kimmich (28) zu tun. Kimmich hat ähnlich wie Goretzka einen sehr engen Draht zu Nagelsmann, anders als zuletzt unter Flick wird Kimmich im Mittelfeld und nicht als Rechtsverteidiger spielen.
Es kommt also zum Kampf ums DFB-Herz: Einen der drei Top-Spieler Goretzka, Gündogan oder Kimmich wird Nagelsmann wohl enttäuschen – bereits am Samstag (21 Uhr/RTL live) im ersten Testspiel der Reise gegen die USA in Hartford. Vielleicht löst sich der Personalkonflikt aber auch von selbst: Kimmich verpasste das Donnerstags-Training mit einer Erkältung, sein Einsatz gegen die Amerikaner ist gefährdet.
Doch so langsam, das meint auch Uli Hoeneß (71), müsste sich mal eine Mannschaft finden mit Blick auf die Heim-EM im Sommer 2024. "Es ist ja nicht mal ein Jahr, da hat man nicht viel Zeit zum Experimentieren", sagte der Ehrenpräsident und Aufsichtsrat des FC Bayern bei RTL/ntv.
"Das Wichtigste wird sein, dass diese Mannschaft, die er sich vorstellt, im Laufe der nächsten drei, vier Spiele zusammenspielt. Dass da jeder weiß, wo er hinlaufen muss, dass es eine Einheit ist", ergänzte Hoeneß. Wenn die Mannschaft als eine Einheit auftrete und eingespielt sei, "dann bin ich überzeugt, dass es trotzdem eine gute Europameisterschaft werden kann".
Robert Andrich und Pascal Groß bringen eine neue Note in die Nationalmannschaft
Eine echte Einheit war das DFB-Team in den vergangenen Jahren allerdings keineswegs – und auch im Mittelfeldzentrum fand Nagelsmann-Vorgänger Flick nie die richtige Lösung. Kimmich und Gündogan seien sich vom Spielertyp zu ähnlich, lautete der Hauptvorwurf, der durch schlechte Leistungen und Ergebnisse untermauert wurde.
Beide würden lieber als Achter das Offensivspiel gestalten und die Defensivarbeit vernachlässigen, ein klassischer Sechser würde fehlen. Und mit Goretzka passe es auch nicht so recht. Diese Diskussion kennt man exakt so auch vom FC Bayern. Wie will Nagelsmann nun für Besserung sorgen?
Mit Neuling Robert Andrich (29) und Pascal Groß (32) hat Nagelsmann zwei weitere interessante Sechser in den Kader berufen. England-Profi Groß zeigte bei den September-Länderspielen seine technische Klasse, er ist ein Gestalter, nicht der defensive Abräumer. Leverkusen-Sechser Andrich hingegen schon.
"Wir wollten auf der Sechs noch ein anderes Profil, einen Spieler, der eine Art Zerstörer sein kann", erklärte Nagelsmann: "Wenn wir am Ende mal ein Ergebnis halten müssen", sei es gut, einen Spieler zu haben, "der einfach auch das Verantwortungsbewusstsein für das Defensive hat". Einen wie Andrich?
Gündogan bleibt Kapitän, Leon Goretzka in der Herausforderer-Rolle
Für die Startelf kommen zunächst nur Goretzka, Gündogan und Kimmich in Frage. Ein kleines Zeichen hat Nagelsmann schon damit gesetzt, dass Gündogan die Kapitänsbinde behält. "Das fand ich toll", sagte Barcelona-Star Gündogan: "Ein neuer Trainer bringt immer gewisse neue Dynamiken mit. Wenn er gesagt hätte, ich habe da eine klare Vorstellung und es wäre jemand anderes gewesen, hätte ich dafür auch Respekt gehabt."
Hat Nagelsmann aber nicht getan. Und so scheint Goretzka zunächst in der Herausforderer-Rolle gegenüber Gündogan und Kimmich zu sein. Da hilft jedes Erfolgserlebnis – wie beim Lattenschießen.