Kahn-Schelte: So reagiert Jogi Löw

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist mit einem 1:3 gegen Argentinien in die neue Saison gestartet. Nach der Niederlage fand der frühere DFB-Kapitän Oliver Kahn deutliche Worte.
Frankfurt/Main - Von den Fans gefeiert, vom ehemaligen Kapitän vernichtet: Oliver Kahn holte nach dem 1:3 (0:1) der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zum Saisonauftakt gegen Argentinien die Keule raus und stellte seinen ehemaligen Kollegen in einem verbalen Rundumschlag im ZDF ein miserables Zeugnis aus.
Nachdem Joachim Löw gerade erst mit den Nörglern, Besserwissern und schärfsten Kritikern der DFB-Auswahl abgerechnet hatte, trafen ihn die Giftpfeile des 86-maligen Nationaltorwarts mitten ins Herz. Wie versteinert wirkte der Bundestrainer, als TV-Experte Kahn vor seinen Augen Stück für Stück die Defizite aufzählte und den Spielern sogar mangelnde Einstellung vorhielt. Zehn Prozent würden fehlen, um die absolute Siegermentalität an den Tag zu legen.
„Das sehe ich nicht so. Wer will das denn beurteilen, ob 10, 12 oder 8 Prozent fehlen. Ich kann taktische Dinge einschätzen, technische Dinge sehen und beurteilen, ob einer einen Fehler macht. Ich kann aber keinem Spieler vorwerfen, dass er nicht alles gegeben hat. Die Mannschaft hat nichts unversucht gelassen“, konterte der Bundestrainer die Attacken des früheren Welttorhüters.
Löw räumte aber ein, dass Kahn nicht völlig falsch lag. „Ich teile seine Meinung bedingt. Natürlich hätten wir einige Situationen besser lösen können. Keine Frage, das müssen wir besser machen. Daran werden wir arbeiten“, sagte Löw und gestand, dass man die Niederlage gegen Weltfußballer Lionel Messi und dessen Kollegen nicht nur auf die frühzeitige Unterzahl nach dem Platzverweis gegen Torwart Ron-Robert Zieler (30.) und das unglückliche Eigentor von Sami Khedira (45.+1) reduzieren konnte.
Kahn warf Löw vor, die Leistungen seiner Mannschaft oft zu schön zu reden. „Da muss sich der Bundestrainer langsam mal Gedanken machen. Es sind zu viele Torchancen, die der Gegner bekommt. Das muss man mal ansprechen. Man verliert nach einer blutleeren Vorstellung gegen Italien und bekommt jetzt drei Gegentore gegen Argentinien. Da kann man nicht zufrieden sein“, kritisierte Kahn die Selbstzufriedenheit im deutschen Team und merkte spöttisch an: „Es ist ja alles schön und gut mit Spielphilosophie und Offensive, aber grundsätzlich hat der Gegner zu viele Torchancen.“
Für den Vize-Weltmeister von 2002 liegt die Schwachstelle vor allem in der Defensive. „Wir wissen doch alle, wie Titel gewonnen werden. Große Mannschaften brauchen eine Kompaktheit, eine Stabilität im Defensivbereich, und die haben wir zuletzt vermissen lassen“, sagte er und scheute sich auch nicht, Sami Khedira dafür als Beispiel zu nennen. „Khedira war viel zu offensiv. So sind immer wieder Löcher entstanden. Da muss man doch mal ansprechen. Die Argentinier hätten ein Tor nach dem anderen schießen können. Mir gefällt das nicht“, nörgelte er über den Mittelfeldspieler von Real Madrid, der einer der wenigen EM-Gewinner war.
Mit seiner Kritik, vor allem an dem Verhalten nach dem EM-Aus, zog sich Kahn nicht nur den Unmut von Löw, sondern auch seines früheren Mitspielers Oliver Bierhoff zu. „Kahn saß nach dem Finale 2002 auch stumm am Pfosten“, sagte der heutige Teammanager und verglich damit Äpfel mit Birnen, wie auch Kahns Reaktion zeigte: 'Ist das jetzt das Niveau, auf dem wir diskutieren wollen?" Khedira gab immerhin zu, dass das Ergebnis, das Benedikt Höwedes mit seinem ersten Länderspieltreffer (81.) noch geschönt hatte, „gerecht“ war. Und auf den Saisonauftakt bezogen, hatte Kahn sicherlich etwas übers Ziel hinausgeschossen. Denn bis zum Platzverweis gegen Zieler, der mit der ersten Roten Karte für einen Nationaltorwart in die 104-jährige Länderspiel-Geschichte eingeht, hatte die deutsche Mannschaft auch ohne einige Stammkräfte (Lahm, Neuer, Schweinsteiger) durchaus ansehnlich gegen den zweimaligen Weltmeister agiert. Nachdem zunächst Marc-Andre ter Stegen den von Zieler verursachten Strafstoß pariert hatte, leitete Khediras Eigentor aber den Anfang vom Ende ein. Trotz weiterer Gegentreffer von Messi (52.) und Angel di Maria (73.) wurde das DFB-Team von den Zuschauern gefeiert. Ein Indiz dafür, dass zumindest das Publikum eine Mannschaft gesehen hatte, der Willen und Einsatz nicht abzusprechen war.
Ernst wird es für die DFB-Auswahl in der WM-Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien erst im kommenden Monat gegen die Faröer in Hannover (7.) und vier Tage später in Wien gegen den Erzrivalen Österreich. Weitere Gegner auf dem Weg zum Zuckerhut sind Schweden, Kasachstan und Irland.