Julian Weigl: Der Schattenmann von Joshua Kimmich

München – Wer weiß, was aus Julian Weigl geworden wäre, hätte Karl-Heinz Rummenigge nicht Angst vor ein paar Pfiffen gehabt.
Als der vielversprechende Defensivspieler vor sechs Jahren vom TSV 1860 zu Borussia Dortmund statt zum FC Bayern wechselte, gab der Ex-Bayern-Boss zu: "Wenn Bayern ihn geholt hätte, hätte es Lamento gegeben, auf beiden Seiten. Bei Jens Jeremies haben Fans auch gepfiffen, zumindest am Anfang." Genau, danach war Jeremies einfach ein wertvoller Kicker. Das hätte Weigl auch werden können: der Kimmich des FC Bayern.
Heute ist Julian Weigl ein wertvoller Kicker für Benfica Lissabon, Tabellendritter der portugiesischen Liga. Erstmals seit dem Abschiedsspiel für Lukas Podolski vor fünf Jahren ist Weigl wieder für die deutsche Nationalmannschaft nominiert.
Als Schattenmann von Kimmich, der wegen der Geburt seines dritten Kindes in der Partie am Samstagabend (20.45 Uhr, ZDF) gegen Israel fehlen wird.

FC Bayern hielt Weigl für nicht gut und dynamisch genug
Die Wege von Julian Weigl und Joshua Kimmich haben sich seit Beginn ihrer Profi-Karriere immer wieder gekreuzt. In der Jugend hielt der FC Bayern den damals noch eher schmächtigen Weigl, der beim SV Ostermünchen bei Bad Aibling das Kicken gelernt hatte, für nicht gut und dynamisch genug.
Später verhinderte eben seine fast zehn Jahre dauernde Löwen-Vergangenheit einen Wechsel zum großen FC Bayern. Und nun will der 26-Jährige seine Chance nutzen und sich als Backup für Kimmich in der Nationalelf empfehlen.
Der Schritt ins Ausland 2020 und die Geburt seiner Tochter vor einem Jahr haben ihn "reifer und erwachsener" gemacht, sagte er, nicht nur auf dem Platz.
Julian Weigl: "Klarer Sechser" im Spielaufbau
Auch körperlich hat der feine Techniker mächtig zugelegt: "Ich habe Kilos draufgepackt und versuche, im Zweikampf aggressiver zu sein." Seine Stärken sieht er als "klarer Sechser" im Spielaufbau: "Ich versuche zu ordnen - und Stabilität herzustellen."
Als Flick ihn auf der Geburtstagsfeier seines Teamkollegen Soualiho Meite anrief, "konnte ich es erst mal nicht glauben", sagte der fünfmalige Nationalspieler über sein überraschendes Comeback. Danach klingelte er sofort bei seiner Frau und der Familie durch: "Diese Telefonate waren sehr emotional."
Flick will er "zeigen, dass er sich jederzeit auf mich verlassen und ich eine Option für den WM-Kader sein kann". Dazu gehört, wie bei Benfica, das Weigl ins Viertelfinale der Champions League gegen den FC Liverpool führte, "keine Angst zu haben" und als "Magnet", die Bälle "zu fordern und zu spielen".
Dass er torgefährlicher werden könnte, weiß er selbst: "Wenn ich mal ein Tor mache, sehe ich immer so überrascht aus und schreie alles raus - weil ich nie damit rechne."
Gorenzel: Weigl? "Das spricht für die jahrzehntelange Top-Ausbildung" bei 1860
Derweil ist beim TSV 1860 die Freude darüber groß, dass mit Weigl und Florian Neuhaus ehemalige Löwen-Talente nominiert wurden. "Das spricht für die jahrzehntelange Top-Ausbildung in unserem Nachwuchsleistungszentrum, das immer wieder Spieler auf Top-Niveau hervorbringt", sagte Sechzig-Geschäftsführer Günther Gorenzel, der Weigl in seiner Funktion als Junioren-Cheftrainer bei 1860 auf dem Weg in die Profi-Mannschaft begleitet hatte, der AZ. "Die Ballbehandlung und technischen Fertigkeiten von Julian machen ihn zu einem Ballverteiler und Ballbesitzspieler auf höchstem Niveau", so Gorenzel weiter, "er bringt sehr viel mit, um auf höchstem Niveau zu performen. Das hat er in den letzten Monaten erneut bewiesen."
Ob er aber wirklich ein zweiter Joshua Kimmich sein kann? "Sicher hat jeder Spieler ein individuelles Spielerprofil und ist nicht 1:1 vergleichbar", so der Löwen-Boss, "aber letztendlich wird diese Frage der Bundestrainer beantworten."
Bleibt die Frage, was aus dem TSV 1860 mit einem Führungsspieler namens Julian Weigl hätte werden können. Aber das ist eine andere Geschichte.