Jogi zeigt's den Engländern
London - England gegen Deutschland: Franz Beckenbauer fiel dazu einst der unsterbliche Satz ein: „We call it a Klassiker.“ Von wegen! Auch ein Kaiser kann sich mal irren. Das 1:0 des DFB-Teams in Wembley wird es im Gegensatz zu so manch anderer Partie dieser Mannschaften kaum in die Annalen schaffen. DFB-Coach Joachim Löw meinte: „Man hatte nicht das Gefühl, dass die Engländer uns ausspielen können." Matchwinner Per Mertesacker beschied: „Das war ein kleines Warmwerden, mehr nicht.“
Die Engländer, die sich vor dem Spiel über die vermeintliche B-Elf Deutschlands echauffuierten und Löw Arroganz vorwarfen, werden nun noch mehr Respekt haben. Löw hat’s ihnen gezeigt.
Der Abend begann ja spannend. Bei der Mannschaftsaufstellung dürften sich ein paar Millionen Ersatz-Bundestrainer die Augen gerieben haben, und so manchem Fan des TSV 1860 wird das Herz geblutet haben: die Bender-Zwillinge in der Start-Elf des DFB-Teams! Gegen England! In Wembley! Ach,Sechzig... Löwen-Kicker standen nicht im Aufgebot, aber acht Neue im Vergleich zum Italien-Spiel. Nach Khediras Kreuzbandriss (Mertesacker grüßte: „Wir vermissen dich hinten im Bus!“) testete Löw erstmals die Doppel-Sechs Bender/Bender – viele Alternativen boten sich im defensiven Mittelfeld nicht. ARD-Fußballexperte Mehmet Scholl beruhigte: „Wir haben keine Not.“
Begeistert zeigte sich Scholl von Toni Kroos: „Ein alles überragendes Spiel! Alles lief über ihn. Er hat große Persönlichkeit gezeigt. So stark und so verantwortungsvoll habe ich ihn noch nie gesehen.“ Auch für den Dortmunder Marco Reus hatte er einen Tipp parat: „Er müsste sich noch mehr Franck Ribéry als Vorbild nehmen: machen, machen, machen. Aber er ist auf dem Weg in die Weltspitze.“ Davon waren die Gastgeber weit entfernt. Nach dem 0:2 gegen Chile ging England motiviert zu Werke, brachte aber die ohne Schweinsteiger, Lahm und Khedira neu formierte Truppe nur selten in Verlegenheit.
Roman Weidenfeller, der mit dem Anpfiff als ältester Torwart-Debütant der DFB-Elf (33 Jahre und 106 Tagen) deutsche Fußball-Geschichte geschrieben hatte, verlebte 178 Tage nach dem Champions-League-Finale an gleicher Stätte einen ruhigen Abend. Brav sagte er: „Ein bisschen Anspannung war da, aber ich muss mich bei der Mannschaft bedanken: Sie hat mich gut aufgenommen.“ Mehr Bammel als vor dem Spiel hatte er vor der Rede, die der Debütant am späten Abend im Hotel noch vor der Mannschaft halten musste.
Bester Laune war der Lokalmatador: Per Mertesacker. Mit seinem Kopfballtreffer in Minute 37 gelang ihm sein viertes Tor im 95.Länderspiel, das erste per Kopf, und das als Kapitän: well done, Mr.Per! Der Torschütze: „Ich hatte einen guten Antritt, muss ich ehrlich sagen. Und ich habe mich gut lösen können. Bei der Rückkehr zu Arsenal habe ich nun gute Argumente.“ Nach der Pause kamen Marcel Jansen, Mats Hummels sowie später Sidney Sam, Julian Draxler und André Schürrle, was dem Spiel aber keinen Kick verlieh.
Marco Reus (49.) und Mario Götze (65.) scheiterten an Hart, viel mehr passierte nicht – bis auf die Tatsache, dass Hummels nach 18 Minuten wieder vom Feld humpelte. Man kann sich vorstellen, was für eine Miene BVB-Coach Jürgen Klopp in diesem Moment zog. Die komplette Innenverteidigung malade, und das vor dem wichtigsten Spiel der Hinrunde – ein Klassiker. Auch Marcel Schmelzer (Wade) und Jerome Boateng (Fersenprobleme) sind vor dem Spitzenspiel angeschlagen.