Jogi Löws Sturmplan mit Havertz: Kai vor der Kiste

Seefeld - Auf dem Rasenplatz in Seefeld fällt Kai Havertz (21) sofort auf - dafür sorgen allein schon seine giftgrünen Fußballschuhe. Als Torhüter wird man fast geblendet, wenn man auf Havertz' Füße schaut. Aber vielleicht geraten die Keeper dabei auch kurz ins Schwärmen.
CL-Finalisten steigen ins Training ein
Denn es gibt nur wenige Spieler im DFB-Team und sonst in Europa, die sich so geschmeidig und leichtfüßig bewegen wie der Chelsea-Star. Auch am Freitag, als Havertz erstmals mit den anderen England-Profis Antonio Rüdiger, Timo Werner (beide FC Chelsea) und Ilkay Gündogan (Manchester City) am Mannschaftstraining teilnimmt.
Havertz ist gut drauf, na klar. Gerade erst hat er Chelsea mit seinem Tor im Finale zum Triumph in der Champions League geführt.
"Die letzte Woche war gefühlt die beste des Lebens", sagt er. Der entscheidende Treffer gegen ManCity sei "sehr wichtig für mich persönlich, den Verein, meine Familie", gewesen: "Das gibt Selbstvertrauen. Aber jetzt haben wir ein anderes Ziel vor Augen."
Exakt. Die EM, bei der es für die deutsche Mannschaft um den vierten Pokal geht. Havertz merkt am Freitag schnell, dass er nach den Jubeltagen mit Chelsea wieder zurück im Trainingsalltag angekommen ist. In einer Szene verstolpert er den Ball vor Bernd Leno, kurz danach dribbelt er um den Arsenal-Torhüter herum, scheitert aber mit seinem schwächeren Fuß am Pfosten.
Von den Kollegen gibt es ein paar spöttische Bemerkungen. Alles im Spaß, Havertz lacht. Als "Champion", wie der Offensiv-Star bei der Ankunft im Trainingslager bezeichnet wurde, sind die Erwartungen eben höher. "Zwei, drei Tage nach so einem Spiel kann man das ja sagen, aber es hört dann jetzt auch auf", sagt Havertz. Er will jetzt einfach wieder der Kai sein.
Löw benötigt Unbekümmertheit
Und genau diesen unbekümmerten Angreifer braucht Bundestrainer Joachim Löw dringend, denn an der Chancenverwertung hapert es weiter bei seiner Mannschaft. Mit Kai vor der Kiste soll sich das ändern. "Ich bin ein kreativer Spieler, der vom Instinkt lebt", sagt Havertz, der bei Chelsea zuletzt als Mittelstürmer brillierte, auch im Königsklassen-Endspiel. Dank seiner technischen Klasse und seinem Raumgefühl ist er für den Gegner kaum zu greifen - ähnlich wie Thomas Müller.
Möglich, dass es in Löws 3-4-3-System nur für einen der beiden Platz geben wird. In einem 4-2-3-1 könnten hingegen Havertz und Müller zusammen stürmen. "Ich glaube, alles geht", sagt Havertz zur Formation: "Thomas ist ein überragender Spieler, der das über Jahre hinweg zeigt, wir sind Konkurrenten." Es gebe aber "genügend Systeme, die man spielen kann, in denen mehrere offensive Mittelfeldspieler auf dem Platz stehen".
Ein Wink an Löw? "Ich glaube, der Bundestrainer sieht meine Rolle genauso wie ich", erklärt Havertz. Fakt ist: Ein offensives Quartett mit Havertz, Müller, Serge Gnabry und Leroy Sané hätte schon was.
Spielt Havertz im hochbesetzten DFB-Team von Beginn an?
Priorität hat für Havertz, dass er überhaupt in der Startelf steht. "Ich will Stammspieler sein, das ist im Fußball so", sagt er. Doch zu Beginn der Saison war das keine Selbstverständlichkeit. Die Rekordablöse von bis zu 100 Millionen Euro wirkte wie Ballast auf Havertz, er hatte Anpassungsprobleme bei Chelsea und Verletzungssorgen. Erst unter Trainer Thomas Tuchel verbesserte sich seine Situation deutlich, privat gab es zudem tierische Hilfe.
Um sich in der Metropole London besser einzugewöhnen, kauften sich Havertz und seine Freundin Sophia einen Golden Retriever. "Er heißt Baloo", verriet Havertz. "Wir sind glücklich mit ihm." Auch im Kurzurlaub vor dem Trainingslager war Baloo dabei.
Nun muss der Vierbeiner aber erstmal ohne sein Herrchen auskommen, Havertz soll die DFB-Elf zum Titel schießen. "Ich brauche Selbstvertrauen, dann spiele ich am besten. So werde ich auch in die EM reinstarten", sagt Havertz, nachdem er das Training standesgemäß beendet hat: Mit einem Elfmetertor in den Winkel.