Jérôme Boateng: "Ich schaue gar nicht ins Netz"

Jérome Boateng im AZ-Interview: Der Abwehrchef der Nationalelf spricht über seinen Medienkonsum während der EM, Musik in der Kabine – und den Traum vom Kapitänsamt: "Das wäre ein Zeichen".
von  Patrick Strasser
Jerome Boateng im Interview mit AZ-Reporter Patrick Strasser.
Jerome Boateng im Interview mit AZ-Reporter Patrick Strasser. © dpa/AZ

Vor dem Spiel Deutschland gegen Italien spricht Jérôme Boateng im AZ-Interview: Der Abwehrchef der Nationalelf über seinen Medienkonsum während der EM, Musik in der Kabine – und den Traum vom Kapitänsamt.

Jérome Boateng, der 27-Jährige ist Abwehrchef der deutschen Nationalmannschaft und amtierender Weltmeister. Mit dem FC Bayern gewann er die Champions League und vier Meistertitel. Die AZ hat ihn in Frankreich zum Interview getroffen.

AZ: Herr Boateng, die deutsche Nationalelf soll ein Italien-Trauma haben. Nie konnten die Azzurri bei einem großen Turnier bezwungen werden.

JÉROME BOATENG: Das spielt für uns keine Rolle. Ich war ja nur bei einem Spiel dabei (2012 im EM-Halbfinale von Warschau, d. Red.). Am Samstag in Bordeaux werden wir unser Spiel durchdrücken. Es wird ein großes Spiel, die ganze Mannschaft, wir alle freuen uns drauf. Die Italiener sind natürlich taktisch gut geschult, aber wir wollen Lösungen finden, dabei natürlich nicht blind drauf los stürmen.

Bei einer Gelben Karte wären Sie in einem möglichen Halbfinale gesperrt. Bremst das?

Ich gehe in dieses Spiel wie in jedes andere, auch in die Zweikämpfe. Ich werde nicht an die mögliche Sperre denken, das bringt nichts.

Wie wird man eigentlich der DJ der Nationalelf?
Die Jungs sagen mir, dass ich Musik anmachen soll, ob in der Kabine oder im Fitnesszelt. Es ist nicht immer nur meine Musik mit meinem Handy dran, sondern auch mal das von Mario Götze oder von einem unserer Fitnesstrainer.

Und welche Musikrichtung läuft dann?
House, Hip-Hop, R’n’B, alles gemischt.

Gibt es bei diesem Turnier einen speziellen Song der Mannschaft?
Nein, das nicht. Jeder Spieler hört ja auch über Kopfhörer seine eigenen Songs. Toni Kroos zum Beispiel, der hört immer seine Musik (u.a. Pur, d. Red.). Oder ich bei Bayern, wenn Rafinha seine brasilianischen Sachen auflegt (schmunzelt).

Wie verfolgen Sie den Hype in der Heimat um Ihre Person?
Klar kriege ich einiges davon mit, vielleicht nicht alles. Es ist immer schön, wenn man etwas Positives über sich liest. Aber nicht zu viel. Es geht hier um Fußball, um die EM. Ich konzentriere mich voll und ganz auf meine Leistung.

Werden Sie häufig angesprochen, wenn Sie hier in Évian an freien Tagen rausgehen?
Es ist ein kleiner Ort und ich war eigentlich immer im gleichen Café. Dann macht man ein paar Fotos und gibt Autogramme. Danach wussten die Leute aber auch, dass ich meine Ruhe haben möchte und respektieren das.

Sie haben hier allen Spielern und Trainern Brillen aus Ihrer neuen Kollektion geschenkt. Wie sind die Präsente angekommen?
Gut. Ich habe viele Spieler gesehen, die sie am freien Tag aufhatten. Bis jetzt kam keine Kritik. Ich glaube, die trauen sich nicht.

An freien Tagen sehen Sie hier Ihre Familie?
Klar. Sonst telefonieren wir oder kommunizieren via „FaceTime“.

Wie verfolgen Sie die EM und das mediale Echo auf die deutschen Spiele?
Ich schaue gar nicht ins Netz, bekomme vielleicht mal etwas von Freunden geschickt, die sich freuen und schreiben: „Hey super!“ oder „Bin stolz auf Dich!“ Bei so einem Turnier kommen schon mehr Whats- App-Nachrichten rein als nach normalen Bundesliga-Spielen. Ansonsten schreibe ich mit der Familie und Freunden, am Tag nach einem Spiel kommen ein paar Berichte und Zeitungsartikel, die ich mir dann anschaue.

Viele Experten bezeichnen Sie als besten Verteidiger der Welt.
Ich bin nicht derjenige, der das zu beurteilen hat. Ich habe auch Schwächen.

So? Welche denn?
Die werde ich sicherlich nicht verraten (lacht). Aber ich kann sagen, dass die italienischen Abwehrspieler ein sehr gutes Stellungsspiel haben, weil sie über Jahre taktisch exzellent geschult wurden. Ich kann nur immer weiter versuchen, mich zu verbessern. Im Moment läuft es gut. Ich bin gut drauf, ich fühle mich fit. Aber ich weiß, wie schnell es in die andere Richtung gehen kann.

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Ihr Vater sagt, Sie laufen eigentlich nicht gerne so viel.
Mein Vater kennt mich eben gut. Das stimmt. Ich laufe nicht gerne, wenn der Ball nicht in der Nähe ist. Aber im Spiel mache ich natürlich jeden Meter, es geht ums Training, um die Laktat-Tests. Das liebe ich nicht so. Da gibt es Spieler, die haben damit überhaupt kein Problem.

Es ist das erste Turnier, bei dem Sie unumstritten in der Innenverteidigung gesetzt sind. 2010 in Südafrika bei ihrem ersten Turnier haben Sie Linksverteidiger gespielt, 2014 in Brasilien zunächst Rechtsverteidiger.
Als ich in der Nationalelf angefangen habe, war ich noch sehr jung und froh, überhaupt spielen zu dürfen. Da konnte und wollte ich ja nicht sagen, ich spiele nur Innenverteidiger. Es hat mir aber auch geholfen, dass ich – ob beim Hamburger SV, bei Manchester City oder auch beim FC Bayern – außen verteidigt habe, etwa bei Flanken. Oder wie es sich gegen kleine, wendige Außenstürmer anfühlt. Was für einen großen Spieler wie mich nicht so einfach ist.

Sie haben sich mit Leistung durchgesetzt.
Mir war aber schon klar, dass ich irgendwann in der Innenverteidigung spielen möchte – und werde. Das hat Joachim Löw mir auch von Anfang an gesagt. Damals brauchten wir außen jemanden, ich habe das gerne gemacht. 2014 war ich, na ja, nicht enttäuscht, aber ich hatte mir ausgerechnet, innen zu spielen und habe dann rechts angefangen. Im Laufe des Turniers bin ich dann nach innen gerückt.

Manuel Neuer ist hier Kapitän. Sie haben mal gesagt, das Amt wäre auch etwas für Sie – als erster farbiger Kapitän der deutschen Nationalelf.
Das ist kein Muss, ich muss und kann das ja auch nicht erzwingen. Es wäre natürlich eine Riesen-Ehre für mich, etwas Besonderes. Und auch ein Zeichen.

Erwarten Sie eine Entschuldigung vom stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, der sich abfällig über Sie geäußert hatte?
Das ist hier bei der EM für mich kein Thema. Das kommt auch von jemandem, den ich nach dieser Aussage als Politiker nicht mehr ernst nehme.    

 

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