Jeder gegen jeden! Miese Stimmung bei der Nationalmannschaft

Doha - Es war einmal eine Turniermannschaft namens Deutschland. Doch bei den letzten drei Endrunden, diese WM in Katar miteingerechnet, gab es in acht Partien nur zwei Siege. Nimmt man das Halbfinal-Aus bei der EM 2016 (0:2 gegen Gastgeber Frankreich) dazu, waren es sogar neun Spiele, davon wurden sechs verloren – bei einer Torausbeute von 9:15.
Eine dramatische Bilanz. Die Stimmung ist im Keller und die Wucht der Experten-Kritik aus der Heimat dürfte im DFB-Basecamp, dem luxuriösen "Zulal Wellness Resort" im Norden Katars, die Palmen umgeweht haben. Doch welcher Gegenwind wiegt stärker? Der Sturm der Entrüstung der Experten oder die teaminterne Kritik unmittelbar nach dem 1:2 gegen Japan, die den Zündstoff für das nun lodernde Feuer lieferte?
Nach Niederlage gegen Japan: Viel Kritik innerhalb des DFB-Teams
"Ich weiß nicht, ob jemals bei einer WM ein einfacheres Tor erzielt wurde. Das darf nicht passieren. Wir sind hier bei der WM", schimpfte Ilkay Gündogan über den zweiten Gegentreffer, an dem Niklas Süle als Rechtsverteidiger (hob das Abseits auf) und Innenverteidiger Nico Schlotterbeck (konnte Asano im Laufduell weder stoppen noch am Schuss hindern) ihre Aktien hatten. Sie dürften sich angesprochen fühlen. Auch wenn der Premier-League-Star von ManCity keinen Namen nannte, verstieß er damit jedoch gegen den Team-Codex.
Eine Herausforderung für den Kit jeder Mannschaft. Gündogan ärgerte sich außerdem über "einige leichte Ballverluste", die Gegentore seien "hergeschenkt" worden. Torwart Manuel Neuer sah von hinten "Pässe ohne Message". Damit hatten die Defensive und das Mittelfeld ihr Fett wegbekommen, fehlte noch der Angriff aufgrund der haarsträubenden Chancenverwertung.
Auch Hansi Flick steht im Zentrum der Kritik
"Wir hätten sie killen müssen", sagte Mittelfeld-Chef Joshua Kimmich und meinte damit: die da vorne. Bedeutet: Es ist ungemütlich geworden in der Wohlfühloase, die der DFB den Spielern in Al Ruwais eingerichtet hatte. Dass dort – wie bereits zuvor geplant – die Frauen und Freundinnen der Akteure auf den Donnerstag übernachten durften, bewirkte, dass die Spieler nicht zu sehr aufeinander hockten nach dem Abendessen und Zeit war für Momente der Entspannung.
Denn wer auf seinem Handy surfte, wurde mit zahllosen Experten-Vorwürfen konfrontiert. Auch Flick, dem Vorgänger und Freund Jogi Löw den Rat gegeben hatte, in einem Turnier nicht zu viele Medien zu konsumieren, steht im Zentrum der Kritik.
"Ich habe in dem Spiel einiges nicht verstanden", sagte Lothar Matthäus in "Bild" und meinte trotz der Freundschaft zu Flick: "Gegen Japan hat er sich vercoacht." Die Aufstellung der Außenverteidiger, speziell Süle auf rechts, und die Wechsel seien "nicht glücklich" gewesen. Ohne Thomas Müller und Torschütze Gündogan sei "die Ordnung verlorengegangen". Da stand es noch 1:0.
Einwechslungen: Flick wollte "frische Beine" bringen
Acht Minuten später kippte das Spiel. Er habe "frische Beine" bringen wollen, verteidigte Flick die Einwechslung von Leon Goretzka und Jonas Hofmann. Für die 1990er-Weltmeister Pierre Littbarski ("Zu wenig Herzblut!") und Andreas Möller ("Zu soft!) lag es an der fehlenden Einstellung.
Nun ist guter Rat teuer. Und der Trainer als Psychologe gefragt, weil er in der Wüste für ein dickes Fell seiner "brutal enttäuschten Mannschaft" (Flick) sorgen und die internen Feuer austreten muss. Wie erzeugt man eine Jetzt-Erst-Recht-Stimmung? "Es geht darum, Mut und Charakter zu haben, sich zu zeigen. Wir müssen einiges verbessern, um gegen Spanien die Chancen offen zu halten", sagte Flick. Der 57-Jährige weiß um die Brisanz und Bedeutung des Spiels am Sonntag: "Wir haben keinen Schuss mehr frei, den Fehlschuss hatten wir schon."
Durchhalteparolen wie die von Flick ("Ich glaube, dass wir Qualität haben und vertraue der Mannschaft. Wir haben eine gute Truppe") dürfen sich nicht als leere Worte erweisen. Spanien ist im Grunde schon ein Finale, auch um die ganz große Blamage abzuwenden: Auf das historisch schwache Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland noch einen draufzusetzen.
Als Wiederholungstäter.