Interview

Jean-Marie Pfaff im AZ-Interview: "Ich traue Neuer eine WM wie 2014 zu"

Vor dem Start der WM in Katar spricht der ehemalige Bayern-Keeper Jean-Marie Pfaff in der AZ über die deutsche Nummer eins, die Konkurrenz innerhalb des DFB-Teams - und die Zukunft von Alexander Nübel.
von  Maximilian Koch
Manuel Neuer bestreitet in Katar seine vierte Weltmeisterschaft.
Manuel Neuer bestreitet in Katar seine vierte Weltmeisterschaft. © IMAGO / Vitalii Kliuiev

München - AZ-Interview mit Jean-Marie Pfaff: Der 68 Jahre alte ehemalige Torhüter des FC Bayern kam mit Belgien bei der WM 1986 bis ins Halbfinale.

AZ: Herr Pfaff, Manuel Neuer hat sein Tor beim 2:0 des FC Bayern auf Schalke sauber gehalten, nach seiner Schultereckgelenksprellung ist er rechtzeitig vor dem Start der WM wieder fit und in guter Form. Wie wichtig ist das für die deutsche Mannschaft?
JEAN-MARIE PFAFF: Manuel Neuer ist der Kapitän, der Leader, der wohl wichtigste Anführer der Mannschaft. Sein Ausfall wäre für die WM eine enorme Schwächung, auch wenn Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp sich international schon oft bewiesen haben. Neuer ist aber immer noch eine andere Kategorie, auch wenn er nicht mehr im allerbesten Fußballalter ist.

2014 war Neuer der überragende Torhüter beim deutschen WM-Triumph. Trauen Sie ihm noch mal ein solches Turnier zu?
Auf jeden Fall traue ich ihm so ein Turnier zu. Neuer hat in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt, dass er immer noch einer der besten Torhüter der Welt ist. Nehmen wir Dino Zoff, der ist in einem Alter von über 40 Jahren noch Weltmeister geworden und hat immer noch auf einem ganz hohen Niveau gespielt. Warum sollte das Neuer nicht auch schaffen? Zumal er in den letzten Spielen bei den Bayern ja schon gezeigt hat, dass er wieder in bestechender Form ist.

Pfaff traut Neuer noch "einige Jahre auf Topniveau " zu

Neuer ist inzwischen 36 Jahre alt. Hat er seinen Zenit überschritten - oder ist er gerade jetzt im besten Torhüteralter?
Man sagt ja, das beste Alter für einen Torwart ist Anfang, Mitte 20. In den letzten Jahren ist aber verstärkt zu beobachten, dass viele Torhüter bis ins hohe Alter ihre Leistung bringen können. Das zeigt auch Manuel in den letzten Jahren. Ich zähle ihn nach wie vor zu einem der besten Torhüter auf der Welt.

Wie viele Jahre trauen Sie Neuer noch zu auf Topniveau?
Wenn Manuel gesund bleibt und von Verletzungen verschont wird, dann traue ich ihm noch zu, einige Jahre auf Topniveau spielen zu können. Aber das kann nur er entscheiden, denn er kennt seinen Körper am besten.

Mit Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp gibt es zwei weitere Spitzentorhüter hinter Neuer. Manche sagen, ter Stegen und Trapp wären bei jeder anderen Nation Stammkeeper - wie sehen Sie das?
Sowohl ter Stegen als auch Trapp haben bewiesen, dass sie auf hohem internationalen Niveau spielen können. Deutschland braucht sich jedenfalls keine Sorgen auf der Torhüterposition zu machen, selbst wenn Manuel einmal nicht spielen kann.

Torhüter-Legende des FC Bayern: Jean-Marie Pfaff.
Torhüter-Legende des FC Bayern: Jean-Marie Pfaff. © Lennart Preiss/dpa

Pfaff über Nübel: "Wechsel nach München war eventuell zu früh"

Wer sind denn aktuell die fünf besten Torhüter auf der Welt?
Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Für mich gehören Neuer und Courtois ziemlich weit nach oben. Im Blick sollte man aber auch Donnarumma haben, auch wenn der bei der WM nicht dabei ist. Frankreichs Lloris, Alisson oder Ederson aus Brasilien, die alle in der Premier League spielen, wären zu nennen. Auch Sommer aus der Schweiz, der bei Borussia Mönchengladbach regelmäßig starke Leistungen abliefert, wäre weit oben anzusiedeln.

Im deutschen Torhüter-Nachwuchs sieht es allerdings nicht so rosig aus, der nächste Neuer ist nicht in Sicht. Was halten Sie von Alexander Nübel?
Nübel ist ein sehr talentierter Torhüter, dem sicher die Zukunft gehört. Bei Schalke hat er sich für andere Vereine interessant gemacht, sein Wechsel nach München war aber eventuell zu früh. Dass er jetzt in Monaco Spielpraxis sammelt, halte ich für einen richtigen Schritt.

Würden Sie Nübel raten, zum FC Bayern zurückzukehren, so lange Neuer noch spielt?
Nübel befindet sich in keiner einfachen Situation. Er kann Neuer vom Talent her bei Bayern sicherlich ersetzen, aber um auf der Bank zu sitzen, sollte er nicht nach München zurückkehren. Ein Torwart in seinem Alter muss spielen, seine Erfahrungen sammeln, um dann selbstbewusst die Position bei den Bayern einzunehmen.

Kobel einer für die Bayern? Pfaff ist sich unsicher

Sehen Sie sonst einen Bundesliga-Keeper, der Neuer mal beerben könnte? Dortmunds Gregor Kobel zeigt beispielsweise konstant gute Leistungen, der Schweizer ist erst 24 Jahre alt.
Deutschland hatte immer gute Torhüter. Ich sehe Trapp auf einem sehr guten Niveau. Er hat einen großen Anteil an den Erfolgen der Eintracht. Ja, auch Kobel ist derzeit in sehr guter Form. Und sollte Sommer für die WM ausfallen, wäre Kobel einer, der ihn sicherlich eins zu eins ersetzen könnte. Ob er schon einer für die Bayern ist, weiß ich nicht. Dazu müsste er diese Konstanz vielleicht über einen längeren Zeitraum an den Tag legen. Zweifellos gehört Kobel aber zu den positiven Torhütererscheinungen in dieser Saison.

Zurück zur WM: Welche ist Ihre schönste Erinnerung?
Ganz klar, die WM 1986 in Mexiko. Das kleine Belgien kämpft sich nach einer Auftaktniederlage bis ins Halbfinale und wird am Ende nur durch den überragenden Maradona gestoppt. Das ganze Land hat uns damals gefeiert. So etwas vergisst man niemals.

Was trauen Sie Ihren Belgiern in Katar zu?
Belgien kann weit kommen. In der Vorrunde müssten wir uns eigentlich gemeinsam mit Kroatien durchsetzen, auch wenn gerade die Kanadier nicht zu unterschätzen sind. Danach brauchst du dann Losglück, die richtige Tagesform. Und natürlich müssen die Schlüsselspieler in Form sein. Davon hängt vieles ab. Wenn alles zusammenpasst, dann kann Belgien durchaus für die Überraschung sorgen. Wir haben einen sehr guten Kader.

Pfaff: Deutschland ist "eine Turniermannschaft"

Wie weit kann die deutsche Mannschaft kommen?
Für die deutsche Mannschaft gilt dasselbe wie für Belgien. Es muss alles zusammenpassen. Die Vorrunde sollte kein Problem werden, ich sehe Spanien und Deutschland auf den ersten beiden Plätzen. Wir alle wissen, dass Deutschland eine Turniermannschaft ist, die sich bei so einer WM steigert und eigentlich immer bis mindestens ins Halbfinale kommt.

Was hat Hansi Flick verbessert, seitdem er auf Joachim Löw gefolgt ist?
Aus meiner Sicht hat er die Atmosphäre in der Mannschaft verbessert. Ich hatte bei Löw den Eindruck, dass es da am Ende nicht mehr ganz gepasst hat in der Beziehung Mannschaft/Trainer. Das ist besser geworden. Hansi, mit dem ich bei den Bayern noch zusammengespielt habe, war damals schon jemand, der immer über den Tellerrand hinausgeschaut hat. Er hatte immer dieses Trainer-Gen in sich und hat als Cheftrainer bei den Bayern bewiesen, dass er in der Lage ist, eine Mannschaft zu größtmöglichem Erfolg zu führen.

Pfaff hofft auf ein Finale zwischen Deutschland und Belgien

Welche Impulse kann Rückkehrer Mario Götze der DFB-Elf geben?
Götze hat die Zeit in Eindhoven gutgetan. Da konnte er sich noch ein Stück weiterentwickeln, ohne ständig auf dem Radar der deutschen Öffentlichkeit zu sein. Ich habe ihn bei PSV einige Male spielen gesehen - und das hat mir sehr imponiert. Diese Form bestätigt er jetzt in Frankfurt. Er kann mit einer einzigen Aktion ein Spiel entscheiden oder in die richtige Richtung kippen lassen. Hansi hat sicherlich eine gute Entscheidung getroffen, indem er ihn nominiert hat.

Zum Schluss Ihr Tipp: Wer wird Weltmeister?
Wenn ich das wüsste. (lacht) Am Ende wird es sicher wieder einer der üblichen Verdächtigen: Frankreich, Spanien, Deutschland, Argentinien oder Brasilien. Ich hoffe, dass Belgien gut in das Turnier kommt und das Finale gegen Deutschland spielt. . .

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.