Jan Age Fjortoft: "Es herrscht ein richtiges Fieber"
Vor dem Spiel gegen Deutschland spricht Jan Age Fjørtoft in der AZ über die Norweger, ihre Chancen und Toptalent Martin Ødegaard.
Oslo - Jan Age Fjørtoft spielte als Stürmer unter anderem für Eintracht Frankfurt. Für die norwegische Nationalmannschaft absolvierte er 71 Länderspiele. Mit der AZ sprach er vor dem kommenden WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland über die Chancen des Außenseiters und Norwegens Toptalent Martin Ødegaard.
AZ: Herr Fjørtoft, Sie sind letzte Woche als Teammanager der norwegischen Nationalmannschaft zurückgetreten.
Jan Age Fjørtoft: Ja, aber das ändert praktisch nichts an meiner Rolle. Ich bin immer noch als Berater für internationale Beziehungen tätig, für das Nationalteam und den Verband. Das Amt ist zuletzt ein bisschen überflüssig geworden und ich war auch zu viel unterwegs mit meinem Job als Experte beim TV-Sender "Viasat". Ich wollte keinen Interessenkonflikt mehr.
Am Sonntag treffen Ihre Norweger im ersten WM-Qualifikationsspiel in Oslo auf den Titelverteidiger. Wird ‘ne einfache Kiste, oder?
Gegen den amtierenden Weltmeister – klar (lacht). Eigentlich haben wir Norweger keine Chance, aber das ist ja gerade unsere Chance. Und so schlecht sind wir nicht. Auch wenn wir im Test gegen Weißrussland eine schlechte Generalprobe hatten.
Die letzte Turnierteilnahme liegt ein paar Jährchen zurück, 1998 bei der WM in Frankreich. Vier Jahre zuvor 1994 in den USA waren Sie im Kader.
Wir sind aktuell die jüngste Nationalmannschaft Europas, haben einen Generationenwechsel durchgeführt. Wir haben in unserem aktuellen Kader viele Spieler, die bei der U21-EM 2013 in Israel das Halbfinale erreicht haben. Also müssen wir uns finden. Aber: In der Qualifikation zur EM 2016 haben wir im letzten Gruppenspiel in Rom bis 17 Minuten vor Schluss mit 1:0 geführt – mit diesem Ergebnis wären wir als Gruppenerster nach Frankreich gefahren.
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Als größtes Talent Norwegens gilt Martin Ødegaard, vielleicht als eines der größten weltweit. Doch es scheint, als sei die Karriere des 17-Jährigen etwas ins Stocken geraten. Im Kader für die WM-Quali steht er nicht.
Langsam, langsam. Der Junge wird im Dezember erst 18. Ich kenne ihn sehr gut, er ist für sein Alter ein sehr reifer, intelligenter und erwachsener Fußballer. Ødegaard ist ein Versprechen für unsere Zukunft und wird ein wichtiger Bestandteil unserer Nationalelf werden. Unser U21-Team hat nun zwei sehr wichtige Qualifikationsspiele für die EM 2017, er soll dort Spielpraxis sammeln und jeweils 90 Minuten bekommen. Das ist besser für ihn.
Norwegens große Hoffnung: Martin Ødegaard (l.). Foto: dpa
Nach Probetrainings bei Manchester United und dem FC Bayern entschied sich Ødegaard im Januar 2015 für einen Wechsel zu Real. Warum?
Bayerns Chefscout Michael Reschke, einer der Besten in seinem Job in ganz Europa, wollte ihn damals unbedingt – Pep Guardiola auch. Aber er hat sich eben für Real entschieden. Dort spielt er nun regelmäßig in der zweiten Mannschaft, hat bereits sein Debüt bei den Profis gegeben und trainiert jeden Tag mit den Besten der Welt. Ich formuliere es so: Er macht momentan seine Ausbildung und wie gut er danach wirklich wird, weiß niemand.
Zurück zum Duell am Sonntag. Ist nicht jetzt – die Saison hat gerade erst begonnen, die EM-Fahrer der DFB-Elf sind nicht lange im Training, manche fehlen verletzt – ein guter Zeitpunkt?
Joachim Löw findet immer wieder einen Weg, ein gutes, neues Team zu konstruieren. Wir brauchen einen besonderen Tag, kommen ja über das Kollektiv, da wir keinen Zlatan Ibrahimovic haben wie Schweden oder Gareth Bale wie die Waliser. Sollte ein Norweger wirklich behaupten, wir könnten am Ende in der Gruppe vor Deutschland stehen, wird er eingesperrt.
Im Ernst: Für uns ist es das Spiel des Jahres, es herrscht ein richtiges Fieber. Wir hätten für das "Ullevaal"-Stadion 60.000 bis 70.000 Karten verkaufen können, leider passen nur 27.000 rein. Die Bekanntheit und Beliebtheit der deutschen Profis ist bei uns sehr, sehr hoch. Das war früher anders – da zählte nur die englische Premier League. Jetzt sind es neben Real Madrid und dem FC Barcelona auch Bayern und Dortmund.
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Werden die Talente in Norwegen heute mehr gefördert als früher? Vor allem ganzjährig, weil die Saison nur von Mitte März bis Anfang November andauert.
Ich denke schon. Es gibt bei uns flächendeckend rund vierhundert kleine beheizte Kunstrasenplätze, was viele Vorteile, aber auch einen Nachteil hat: Du entwickelst immer die gleichen Spieler: kleinere, technisch sehr starke Spieler und nicht die großen, robusten Verteidiger, die Zweikämpfe gewinnen. Außerdem haben wir drei große Fußballhallen für die Kids – aber eigentlich wollen wir doch immer nach draußen, wir sind doch Wikinger.
Jan Age Fjørtoft (r.) spielte unter anderem für Eintracht Frankfurt. Foto: dpa
Kein Interview mit Ihnen ohne eine Erwähnung von Felix Magath, einen Ihrer Trainer bei Eintracht Frankfurt, über den Sie nach erfolgreichem Abstiegskampf 2000 gesagt haben: "Ich weiß nicht, ob Magath die Titanic gerettet hätte. Die Überlebenden wären auf jeden Fall topfit gewesen."
Eigentlich passen die Begriffe Magath-Training und Genuss bei "google" nicht zusammen, aber es ist so: Je älter ich werde, desto mehr unterstütze ich seine Methoden. Wenn ich heute nicht fit bin, rufe ich ihn an und lasse mir ein Fitnessprogramm geben (lacht).
Was mich Freude hat: Magath hat einmal gesagt, ich wäre der einzige Spieler gewesen, der seinen Humor verstanden habe. Als er mich bei seinem Dienstantritt ironisch gefragt hat, was ich denn hier wolle, antwortete ich: "Meine Aufgabe ist es, Tore zu schießen. Zuletzt waren es wohl zu wenige, deshalb ist dein Vorgänger gefeuert worden." Wir haben uns sofort geduzt – als einzige. Ich habe gesagt: Ich bin Norweger, bei uns ist das so.
Bayern-Kapitän Oliver Kahn haben Sie im November 2000 mal einen Treffer per Lupfer eingeschenkt. Ein freches Ding.
Ich weiß. Das ist das Schlimmste für einen Torhüter, ich sehe sein verärgertes Gesicht von damals noch heute vor mir. Wenn wir uns später wieder gesehen haben, habe ich das Tor nie erwähnt. Lieber nicht! Ich hätte zu viel Angst – hey, es ist Olli Kahn!