Interview mit Karikaturist Guillermo Mordillo: Messi macht große Kunst

Guillermo Mordillo ist einer der berühmtesten humoristischen Zeichner der Welt. Der 85-Jährige ist begeisterter Fußball-Fan.
AZ: Senor Mordillo, erinnern Sie sich noch an die erste WM, die Sie verfolgt haben?
GUILLERMO MORDILLO: Ich bin als Argentinier mit einer gewaltigen Fußballbegeisterung aufgewachsen, ich habe als Kind den ganzen Tag Fußball auf der Straße gespielt. Natürlich hat uns Kinder auch der große Fußball interessiert, aber der fand im Radio statt, Fernsehen gab es nicht. Ich habe damals angefangen, während der Radioübertragungen Szenen zu zeichnen, das mache ich manchmal immer noch.
Was bedeutete Ihnen der Fußball damals?
Als ich jung war, gab es so wenig Autos, da waren die Straßen frei für die Kinder zum Fußballspielen. Das war der einzige Luxus meiner Kindheit. Meine Eltern kamen aus sehr einfachen Verhältnissen, wir haben nie Urlaub gemacht, wir fuhren nie in die Berge, nie an den Strand. Wir konnten es uns nicht leisten, in ein Restaurant zu gehen. Aber ich hatte trotzdem eine sehr glückliche Kindheit, ich habe den ganzen Tag mit meine Freunden Fußball gespielt. Heute haben die Kinder ihre Smartphones und Tablets, aber sind sie glücklicher?
Welcher Fußballer hat eigentlich die interessanteste Nase?
Glücklicherweise ähnelt niemand meinen Figuren. Das wäre wirklich ein armer Tropf.
Pelé hat gesagt, dass ihn Ihre Zeichnungen so glücklich machen wie seine eigenen Tore.
Pelé hat das in einem Vorwort für eines meiner Bücher geschrieben. Ich erinnere mich noch genau, wie er mir den Text für das Buch 1981 in Paris persönlich gegeben hat.
Pelé war ein Tänzer auf dem Platz. Welcher Argeninier ist der größte Platz-Tänzer – Kempes, Maradona, Messi?
Drei große Spieler aus drei Zeiten des Fußballs, die man kaum vergleichen kann. In der Zeit von Kempes haben die Gegner einem Raum gegeben. Neuerdings stehen die einem Spieler sofort auf dem Fuß – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich liebe den Fußball, aber ich habe eine Abneigung gegen bestimmte Spielerscheinungen, ich vermisse den Fair-Play-Gedanken.
Was meinen sie damit?
Die Spieler tricksen und simulieren zu oft. Rugby-Spieler sind viel edler, sie beschweren sich nie beim Referee. Fußballer tun es ständig, sie tricksen, täuschen Fouls vor, betteln um Gelbe Karten für den Gegner und grätschen brutaler in den Mann, als dies beim Rugby jemals geschehen würde.
Man sagt, der Fußball zeige den Charakter einer Nation. Was sagt uns die Albiceleste über Argentinien?
Ich denke, es gibt brutalere Nationen, wir haben mit Di Stefano, Maradona und Messi die größten Künstler hervorgebracht. Ich habe mich bei meinen Reisen nach Deutschland immer gewundert, dass niemand auf der Straße Fußball spielt. Wo kommen die Talente her? Wahrscheinlich spielen die Kinder bei Ihnen alle in Klubs, die Deutschen sind ja organisierter als wir.
Wären Sie lieber Fußballstar geworden als Künstler?
Künstler bin ich nicht. Ich bin humoristischer Zeichner. In der Kunstgeschichte spielt der kaum ein Rolle. Aber mir gefällt die Rolle, ich nehm’ mich selbst nicht ernst. Ich liebe es, durch Museen zu schlendern, aber zum Lachen bringen mich die Werke nicht. Selbst für das Lächeln der Mona Lisa brauchen sie ein Lupe, um festzustellen, ob die Dame wirklich lächelt.
Einen Ihrer Kurzfilme hätten Sie zu Maradonas "Hand Gottes" machen können, für Sie ein ein humorvoller oder tragischer Moment?
Ich würde das Tor als einen Moment unglaublicher Gerissenheit bezeichnen. Die spielt beim Fußball eine große Rolle. Dieses Tor ist der Beweis dafür, auch weil Maradona den Moment unsterblich machte, als er sagte: „Es war ein bisschen Maradonas Kopf und ein bisschen die Hand Gottes.“ Aber er hat im Spiel gegen England auch das wohl spektakulärste Tor in der WM-Geschichte erzielt, als er aus der eigenen Hälfte kommend ein halbes Dutzend englischer Spieler und den Torhüter umdribbelt – und trifft. Ich erinnere mich noch, wie Valdano die ganze Zeit auf der linken Seite mitläuft und auf einen Pass wartet, der nie kommt.
Messi hat dieses unglaubliche Tor 2005 kopiert.
Das kann man nicht vergleichen. Messi hat das Tor gegen Getafe erzielt, einen kleinen Verein in Spanien, Maradona gegen die englische Nationalelf während einer WM. Ansonsten aber ziehe ich Messi vor. Beide sind außergewöhnlich, aber Messis Geniestreiche sind noch unglaublicher, sie sind große Kunst. Er ist immer am besten, wenn sich vier oder fünf Spieler auf ihn stürzen.
Humor ist auch subversiv. Auch wenn ihr Werk vordergründig nicht so aussieht, ist es politisch?
Mein Werk ist das, was ich bin. Auf meinem Werk klebt kein politisches Etikett. Ich hätte politischer sein können, mein Großvater war Bergarbeiter in Asturien und meine Eltern einfache Arbeiter. Ich habe politische Gedanken, aber die bleiben bei mir privat.
Sie wollten immer der Welt ein Lächeln schenken?
Ich arbeite für eine bessere Welt. Ich werde älter und allmählich habe ich Angst, dass diese Idee nur Utopie ist. Wenn man die Welt im Augenblick betrachtet, möchte man oft die Augen schließen. Ich arbeite für den Frieden und ich hoffe immer noch, dass das Leid auf dieser Erde aufhört und die Menschen friedvoller miteinander umgehen. Jetzt spreche ich aber ein bisschen zu ernst für einen Humoristen, oder?
Gehört der Fußball noch dem Volk und den Fans, oder der Fifa und den größten Unternehmen der Welt?
Das würde ich nie sagen, das Volk braucht den Fußball. Ich auch. Er gefällt mir trotz negativer Begleiterscheinungen und Sportlern, die sich unsportlich verhalten. Das ist es, was ich so an Messi schätze: Er simuliert nie, er hat das nicht nötig, ganz im Gegensatz zu anderen Stars. Iniesta ist auch so ein leuchtendes Beispiel für exzellentes Verhalten auf dem Platz.
Ihr Fußballherz schlägt natürlich für Argentinien, oder?
Selbstverständlich bin ich Albiceleste-Fan. In Argentinien hänge ich am Drittligisten Ferro Carril Oeste. Sie waren 1981 und 1984 dort Meister. ich bin gerne Fan eines mäßigen Teams. Wenn wir verlieren, haben wir das vorher gewusst. Ein Remis wird gefeiert und bei einem Sieg ist die Hölle los.
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