Insider packt aus: "So haben wir Fußballspiele gekauft"

Ein ehemaliger Wettpate berichtet exklusiv in der AZ, wie er Spiele manipuliert hat und wie die Wett-Mafia arbeitet. Dass Uefa und DFB die Manipulation jetzt schärfer verfolgen, stört die dunkle Branche überhaupt nicht.
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"Aus Angst vor Abhörungen haben die Drahtzieher die Sim-Karte gewechselt", sagt Zlatko K.
Gregor Feindt "Aus Angst vor Abhörungen haben die Drahtzieher die Sim-Karte gewechselt", sagt Zlatko K.

MÜNCHEN - Ein ehemaliger Wettpate berichtet exklusiv in der AZ, wie er Spiele manipuliert hat und wie die Wett-Mafia arbeitet. Dass Uefa und DFB die Manipulation jetzt schärfer verfolgen, stört die dunkle Branche überhaupt nicht.

Das Problem, sagt er, war ja nie, die Spieler zu überzeugen. Die wirkliche Herausforderung bei der Spielmanipulation sei es, den Überblick zu bewahren in der Flut der Informationen. Und danach das durch Betrug erworbene Geld einzusammeln.

Das sagt einer, der es wissen muss. Schließlich arbeitete Zlatko K. (Name von der Redaktion geändert) jahrelang mit den Wettpaten zusammen, die mindestens 200 Fußball-Spiele in ganz Europa manipuliert haben sollen. Er war Handlanger, Kurier, Mitwisser, Komplize. Er kennt die Brüder Ante und Milan Sapina, die schon für den Hoyzer-Skandal 2005 verantwortlich waren. Er kennt Deniz C., der im Ruhrpott eine bekannte Rotlicht-Größe ist und die Geschäfte im Westen geführt haben soll.

Auch Marijo C. kennt er gut. Marijo C., den Paten von Nürnberg. Etliche Spieler soll C., bosnisch-kroatischer Abstammung wie er, geschmiert haben. Zudem soll C. der heimliche Chef in den Nürnberger Filialen des Wettanbieters „tipico“ gewesen sein – und so unauffällig und an allen Warnsystemen vorbei einige Wetten der Bande platziert haben.

Das geht aus den Akten der Bochumer Staatsanwaltschaft hervor. Diese sind unter Verschluss; doch die Anwälte der Beschuldigten haben vieles ausgeplaudert. Ihre Mandanten sitzen in Untersuchungshaft, das Plaudern gehört zu ihrer Verteidigungsstrategie.

Auch Zlatko K. plaudert. Weil er es kann. Er ist frei, obwohl er schuldig ist. Er hat in einem Nürnberger Wettbüro am Plärrer als Kassierer gearbeitet und Einsätze angenommen, die viel höher waren als erlaubt. Er hat auch mal Spieler bestochen, damit sie auf dem Platz für die Ergebnisse sorgten, die der Bande halfen. Er hat geholfen, dem Sport noch ein Stück mehr seiner Unschuld zu nehmen. Und er hat damit viel Geld verdient, allein 700000 Euro im Jahr 2005, behauptet er.

Sein Name taucht in den Ermittlungsakten nicht auf. Zlatko K. scheint rechtzeitig die Seiten gewechselt zu haben. Er beobachtet den Wettmarkt in Asien und gibt Hinweise, wo es Manipulationen geben könnte.

Der AZ hat Zlatko K. seine Geschichte erzählt. Er ist stolz auf das, was sie getan haben, Stolz auf die kriminelle Kreativität. Wenn eine seiner Geschichten für den Zuhörer besonders unglaublich scheint, wirkt er so, als ob er gelobt werden möchte. Er sagt, dass er mit Manipulationen nichts mehr zu tun haben will. Aufhören zu wetten will er nicht.

Wie alles begann

„Die Bande hatte schon seit einiger Zeit bei Sportwetten im Internet immer höhere Summen gesetzt und natürlich hin und wieder auch verloren. Ante kam dann irgendwann die Idee, wie das System optimiert werden könnte: Bei einem Jugend-Tennisturnier in Ulm sprachen sie einen osteuropäischen Spieler an und fragten ihn, was er für den Turniersieg erhalten würde. Sie boten ihm das Doppelte, wenn er in der ersten Runde verlieren würde. Die Quote lag bei 9:1, der Gewinn lag bei mehr als 300000 Euro.“

Organisierter Wettbetrug

„Vor jedem Spiel, das die manipulieren wollten, haben sie sich rund einen Monat vorbereitet und alle möglichen Informationen eingeholt. Aus Angst vor Telefonabhörungen haben die Drahtzieher regelmäßig die Sim-Karten gewechselt und viel über Skype kommuniziert. Du musst permanent den Markt beobachten und die Situation in den Ligen kennen, vor allem in den unteren. Da musst du nicht so hohe Summen investieren. Wenn ein Verein in Zahlungsschwierigkeiten steckt, dann kann man einfach die Gehälter übernehmen und die Spieler dann um einen Gefallen bitten. Wenn die Saison für einen Klub schon gelaufen ist, sind die Spieler oft recht einfach zu überzeugen. Wichtig ist immer, möglichst viel zu wissen über die Spieler. Wer gerne zockt und Spielschulden hat, kann von denen profitieren. Motto: „Wir zahlen die Zeche, er hilft uns beim Wetten.“ Das gleiche gilt für Spieler, die sich viel im Rotlicht-Milieu bewegen. Bei einem Landesliga-Verein haben sie mal die Geburtstagsfeier für den Kapitän organisiert. Das hat 5000 Euro gekostet, danach hat fast die ganze Mannschaft gratis mitgemacht.

Wenn man alle Informationen hatte, wurden die Spieler direkt angesprochen. Die meisten sagen sofort zu, wenn sie die Summen hören, die man ihnen bietet. Je nach Spieler und der Wette sind das rund 2000 bis 20000 Euro. Manchmal sind die Methoden aber auch härter. Bei Spielern aus Ex-Jugoslawien wurde manchmal, wenn sie nicht sofort mitmachen wollten, in Serbien angerufen bei der örtlichen Mafia. Die haben dann deren Familien bedroht.

Bei komplizierteren Wetten, bei denen es darum geht, mit wie vielen Toren Unterschied die Mannschaft verlieren oder wann die Tore fallen sollen, brauchst du sechs bis sieben Spieler in beiden Mannschaften. Sonst ist die Gefahr zu groß, dass die Wette platzt.

Die Erfolgsquote bei großen Wetten, also Wetten, bei denen mehr als 500000 Euro gesetzt wurden, lag bei ungefähr 80 Prozent. Das letzte Wort, ob eine große Wette auch wirklich durchgezogen wird, hatte immer Ante, der auch am meisten setzen durfte."

Komplizen

„Nach Hoyzer hat man die Finger davon gelassen, Schiedsrichter zu bestechen. Aber früher als alle anderen zu wissen, welcher Schiedsrichter welche Partie leitet, hilft. Jeder Schiedsrichter hat bestimmte Vorlieben, es gibt Schiedsrichter, die dafür bekannt sind, in der Nachspielzeit keine strittigen Elfmeter mehr zu geben. Also wurden Personen aus dem Schiedsrichterwesen bestochen, die noch vor der offiziellen Bekanntgabe die Schiedsrichteransetzungen verrieten. Auch die Frühwarnsysteme wie Sportradar zu umgehen, war nicht schwer. Sowohl bei Sportradar als auch bei den Wettanbietern gab es Leute, die halfen. Teilweise wurden auch eigene Buchmacher eingeschleust, die viel höhere Wetten annahmen als erlaubt.“

Der Weg des Geldes

„Nach 2005 platzierten die Chefs im Internet die Wetten nicht mehr unter eigenem Namen, sondern richteten Accounts ein mit den Namen von Freunden oder Familienangehörigen. Außerdem begannen sie, vermehrt Wetten in Asien zu platzieren. Das geschah meist über Mittelsmänner in Graz. Wir nannten sie Tommy Lee und Tommy Tiger. Die platzierten die Wetten und kassierten im Erfolgsfall fünf Prozent Provision. Wenn die Wette nicht aufging, gab es noch drei Prozent. Alle 14 Tage sind Kuriere nach Graz gefahren und haben Kassensturz gemacht. Das Geld zahlten sie dann auf Konten überall auf der Welt ein. Viele haben ein Nummernkonto in der Schweiz. Oder man investiert in Firmen auf dem Balkan.“

Wie es weiter geht

„Die Szene hat sich schon wieder neu organisiert. Die asiatische Wettmafia, die ohnehin den Weltmarkt kontrolliert, will sich jetzt selbst um Europa kümmern. Das Wettgeschäft ist so reizvoll, weil es für die Ermittler unglaublich schwer ist, irgendjemandem etwas zu beweisen. Die Staatsanwaltschaft hat vor allem Telefonprotokolle von abgehörten Telefonaten, es gibt nur wenige Einzahlungsbelege. Ich habe jetzt schon zwei Mal Glück gehabt, ich könnte weiter machen, ich kenne die Szene. Aber ich will mein Glück nicht überstrapazieren. Mit meinem Wissen kann man auch Geld verdienen, ohne sich schuldig zu machen. Manchmal gebe ich auch den Ermittlern der Uefa ein paar Hinweise. Die haben längst verstanden, dass sie angewiesen sind auf Leute wie mich. Der DFB hat viel zu lange nur auf die Frühwarnsysteme vertraut. Aber auch der DFB denkt da langsam um.“

Aufgezeichnet von Filippo Cataldo

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