Hitzfeld: "Bastian opfert sich auf"

Coach Ottmar Hitzfeld, mit der Schweiz letzter Sieger gegen die DFB-Auswahl, lobt seine früheren Schützlinge Schweinsteiger, Hummels und Klose.
von  Patrick Strasser

Coach Ottmar Hitzfeld, mit den Schweizern letzter Sieger gegen die DFB-Auswahl, lobt seine früheren Schützlinge Schweinsteiger, Hummels und Klose – und erklärt, wieso die Italiener endlich fällig sind.

AZ: Wir erreichen Sie zu Hause in Lörrach. Warum sind Sie als aktueller Nationaltrainer der Schweiz nicht zur EM gereist?

OTTMAR HITZFELD: Ich schaue mir die Spiele im Fernsehen an, da ich kann die Partien auch sehr gut analysieren. Außerdem ist kein Gegner dabei, auf den wir in der Qualifikation zur WM 2014 treffen.

Schmerzt es noch, dass Sie mit der Schweiz die EM-Teilnahme verpasst haben? Gerade, wenn Sie schwächere Teams wie Irland oder Schweden sehen. Oder die Null-Punkte-Holländer?

Das ist die große negative Überraschung dieses Turniers, die Art und Weise des Ausscheidens der Holländer. Nein, unser Aus liegt lange zurück und motiviert uns für die nächsten Aufgaben.

Immerhin sind einige „Ihrer“ Spieler dabei. All die, mit denen Sie bis Mai 2008 noch beim FC Bayern gearbeitet haben. Also Lahm, Schweinsteiger, Kroos, Podolski und Klose – auch der jetzige Dortmunder Hummels hat unter Ihnen trainiert.

Das freut mich, ich beobachte deren Werdegang natürlich ganz genau.

Bastian Schweinsteiger quält sich angeschlagen durchs Turnier. Leiden Sie mit ihm?

Er ist noch nicht wieder der Alte, weil er diese Verletzung mit sich herumschleppt, das merkt man. Doch auch Bastian hat dazu beigetragen, dass die deutsche Mannschaft ihre vier Spiele gewonnen hat. Gegen die Griechen war er nicht so dominant in seinem Spiel, aber er hat viele Löcher gestopft und dadurch konnte Sami Khedira nach vorne marschieren. Er opfert sich auf, ist dennoch sehr wertvoll für Jogi Löw. Alle wissen, wie wichtig Bastian ist, er ist ein Leader.

Wie sehen Sie das Duell um den einen Platz im Sturm zwischen Klose und Gomez?

Alle drei Wechsel zum Griechenland-Spiel waren eine sehr große Überraschung, auch für mich. Das war sehr mutig von Löw. Er kann beide bringen, beide sind weltklasse. Das ist ein wahres Luxusproblem! Es war zugleich ein Signal an die Mannschaft: Jeder hat eine Chance, keiner darf sich zu sicher fühlen, denn das Team besteht nicht nur aus elf, sondern aus 23 Spielern. Womöglich wollte Löw auch Spieler schonen, damit sie sich ihre Kräfte einteilen können. Die Gefahr jedoch ist: Auf der Bank verliert man Selbstvertrauen, zumal die Pause zwischen Viertel- und Halbfinale mit sechs Tagen sehr lange ist.

Was sagen Sie zur Arbeit von Joachim Löw – aus Sicht eines Trainerkollegen?

Er hat bisher alles richtig gemacht, all seine Entscheidungen haben gegriffen. Man kann ihm nur Lob aussprechen.

Sie sind der letzte Trainer, der Löw bezwingen konnte – beim 5:3 im Testspiel Ende Mai in Basel. Nach Schlusspfiff haben Sie ihm etwas ins Ohr geflüstert.

Ich habe ihm gesagt: Das ist ein gutes Omen. Denn bei der WM 2010 in Südafrika haben wir im ersten Gruppenspiel die Spanier mit 1:0 besiegt, danach sind sie ungeschlagen Weltmeister geworden. Also sagte ich ihm: Jetzt werdet ihr Europameister! Ein spontaner Einfall von mir.

Wie hat Löw reagiert?

Er hat gelächelt, auch wenn es in dem Moment ein schwacher Trost war. Ich wollte ihm nach dieser Niederlage Hoffnung machen. Denn jede Niederlage nagt an einem, selbst in einem Testspiel. Aber vielleicht war es für die deutsche Mannschaft ganz gut, ein solches Spiel zu erleben.

Wie meinen Sie das?

Es wurde zu sehr offensiv gedacht. Danach haben sie mehr Wert auf die Defensive gelegt. Vielleicht habe ich so auch meinen Teil zum Erfolg beigetragen (lacht).

Halten Sie während des Turniers Kontakt zu Ihren einstigen Schützlingen?

Nein, die Spieler werden sowieso überfrachtet und überflutet mit SMS oder E–Mails von Freunden und Verwandten aus der Heimat. Ich hebe mir die SMS für den Tag nach dem Finale auf. Da kann ich den Deutschen dann hoffentlich gratulieren.

Sie glauben, dass es die Löw-Elf packt?

Ja, Deutschland wird Europameister.

Und das vor dem Halbfinale gegen Italien? Was macht Sie so sicher?

Spanien ist mal reif, sie sind ebenso fällig wie endlich einmal die Italiener in einem Turnierspiel. Deutschland hat enorm aufgeholt, nicht nur das. Sie haben sich in allen Bereichen weiterentwickelt, sich vor allem spielerisch gesteigert. Sie sind viel torgefährlicher als Spanien, haben viel mehr Spieler, die Tore erzielen können. Und den Spaniern fehlt der verletzte Stoßstürmer David Villa doch sehr.

Was macht die Stärke des DFB-Teams noch aus?

Löw kann aus so vielen Topspielern wählen, das ist phänomenal. Khedira und Hummels spielen ein überragendes Turnier, sie sind die Antreiber des deutschen Spiels. Özil war eher unauffällig bisher, hat sich aber gegen die Griechen gesteigert, sehr gute Pässe gespielt. Vielleicht kommen seine großen Momente noch.

Wie kann Löw seinen Spielern den Fakt ausreden, dass Italien ein Angstgegner ist?

Natürlich steckt so eine negative Bilanz in den Köpfen. Man muss dem Team den Glauben an die eigenen Stärken einimpfen, Löw und sein Trainerstab werden alles Erdenkliche vorbereiten, die Spieler bestmöglich vorbereiten.

Das Problem: Die Italiener von 2012 sind nicht mehr die Italiener, die man kennt.

Ihr Trainer Cesare Prandelli ist ein richtig guter Taktiker, er macht dort einen ganz tollen Job, die Italiener spielen offensiver als je zuvor. Gegen England hatten sie unglaubliche 67 Prozent Ballbesitz. Dadurch sind sie leichter zu schlagen, weil sie defensiv anfälliger sind. Aber Deutschland darf nicht zu viel Respekt haben, sie sind eindeutig besser, sie haben mehr Qualität als beim Duell im Halbfinale der WM 2006.

Gibt es aus Trainersicht eine neue Entwicklung bei dieser Europameisterschaft?

Es wird weniger geflankt, noch mehr durchs Zentrum gespielt. Die Mitte wird daher noch mehr geschlossen, viele Teams verteidigen mit neun Mann, greifen dann mit sieben, acht Spielern an. Man verteidigt noch enger, es wird immer schwieriger, durchzukommen, man hat fast keine Räume mehr. Der FC Chelsea hat durch seine Erfolge in der Champions League gegen Barcelona und im Finale gegen Bayern einen Trend gesetzt, sie haben das Spiel der Gegner erstickt. Leider.

 

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