Hinten nicht ganz dicht

Die Gegentore beim 3:3 gegen Paraguay geben (mal wieder) Anlass zur Sorge. Wie Löw das Abwehr-Problem in den Griff bekommen will.
von  ps

Die Gegentore der deutschen Nationalmannschaft beim 3:3 gegen Paraguay geben (mal wieder) Anlass zur Sorge. Im Fokus: Die Abwehr, die mitunter katastrophal spielte. Wie Löw das Problem in den Griff bekommen will.

Kaiserslautern -Joachim Löw suchte die Offensive, die Flucht nach vorne.

Klar, wenn die Deckung nicht steht, muss man etwas wagen, die Zuhörer überraschen. Also sagte der Bundestrainer nach dem – was die Abwehrleistung betrifft verheerenden – 3:3 im ersten Testspiel der WM-Saison gegen Paraguay: "So werden wir nicht spielen gegen Österreich. Wir werden uns im September und Oktober mit Sicherheit steigern."

Er schob nach, als wäre es ein Gesetz der Serie und des Kalenders: "Wie immer." Sein Argument: "Dann haben die Spieler ein paar Spiele absolviert." Die Erklärung, böse gemeint Ausrede, war mal wieder dieser Termin im August – nach dem ersten Bundesligaspieltag, noch vor dem Saisonstart in den Ligen Englands, Italiens und Spaniens.

Doch mangelnde Spielpraxis erklärt die Abwehr-Aussetzer nicht. Schließlich war es die Wunsch-Viererkette mit Kapitän Philipp Lahm, Per Mertesacker, Mats Hummels und Marcel Schmelzer, die vor Stammtorhüter Manuel Neuer in Kaiserslautern antrat. Einzig Jérôme Boateng, der in der zweiten Halbzeit für Mertesacker kam, wäre eine Alternative.

Bayerns Holger Badstuber dürfte die WM 2014 in Brasilien nach seinem zweiten Kreuzbandriss verpassen, der Schalker Benedikt Höwedes ist nicht stabil genug, Heiko Westermann (HSV) hat einfach nicht die Klasse. Also muss Löw mit diesen Spielern arbeiten, ihnen das zu sorglose Spiel austreiben.

Denn: 300 Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel hat der Bundestrainer ein Kern-Problem: die Abwehr, der DFB ist hinten nicht dicht. "Unnötige Gegentore", so Löw, hätten aus "individuellen Konzentrationsfehlern" resultiert. Zwei Mal wirkte Dortmunds Mats Hummels bei langen Bällen orientierungslos, ein Mal ließ der Sechser Sami Khedira seine Abwehrkollegen im Stich.

"Wir waren nicht auf Höhe, was unsere Defensivverhalten angeht”, schimpfte Torwart Neuer, der Leidtragende, "vielleicht müssen wir erst wieder lernen, zu Null zu spielen." Kommt schließlich nicht mehr so oft vor. Zuletzt gegen Fußball-Zwerg Kasachstan im März (3:0).

Überhaupt ist die Abwehr-Bilanz der DFB-Elf seit der EM 2012 in Polen/Ukraine mies. In fünf der letzten zwölf Partien kassierte man drei oder mehr Tore. Mit einer Gegentrefferquote von 1,55 pro Spiel in der vergangenen Saison liegt die Nationalelf, immerhin Weltranglistenzweiter, nur auf Platz 18. Spanien dagegen kassierte nur 0,54 Tore pro Begegnung.

Zu leichtfertig, zu fahrig, ja teils lässig hatte die DFB-Abwehr gegen Paraguay agiert. In früheren Zeiten standen teutonische Verteidiger à la Vogts, Schwarzenbeck, Förster, Kohler & Co. für rustikalen Fußball, die berühmt-berüchtigten "deutschen Tugenden", aber auch für: ein kerniges Bollwerk und damit für Erfolg.

Die Frage ist: Ins Finale mauern wie einst die WM-Truppen 1986 von Teamchef Franz Beckenbauer und 2002 von Rudi Völler? Oder im Hurra-Stil Risiko gehen? Löw sucht die Balance. Er weiß: "Das Schwierigste überhaupt ist im Fußball: defensiv sensationell zu stehen und trotzdem die Luft zu haben, vier Tore zu schießen."

Die Bayern haben es letztes Jahr vorgemacht, mit dem vorsichtig-offensiven Jupp-Heynckes-Fußball, der ins Triple mündete. Schon vor dem Paraguay-Spiel war Löw auf Abwehr-Schwächen angesprochen worden. Er betonte ausdrücklich, dass er "das Spiel nach vorn über alles liebt".

Übertreibt er es? Hummels mahnte: "Es ist wichtig, dass die komplette Mannschaft im Defensivverhalten eine Grundidee hat. Die Defensive ist wichtiger als die Offensive."

Da war er wieder, der Oliver-Kahn-Gedächtnis-Satz. Analytisch klarer war da Lukas Podolski, der trocken meinte: "Man muss vorne die Dinger machen und hinten möglichst wenig kassieren, um am Ende das Ziel zu haben, in Brasilien den Titel zu holen."

 

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