Hexer, Heiler, Mannschaftsarzt

200000 Sangomas, traditionelle Medizinmänner, praktizieren in Südafrika – natürlich auch im Fußball. Hier sollen Tränke wie UmavuNdulula und eigenwillige Riten helfen, Tore zu schießen.
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Nicht ohne meinen Sangoma! Südafrikaner vertrauen auf ihre Heiler. Beim Fußballklub Kaizer Chiefs gehört einer fest zum Stab.
dpa Nicht ohne meinen Sangoma! Südafrikaner vertrauen auf ihre Heiler. Beim Fußballklub Kaizer Chiefs gehört einer fest zum Stab.

JOHANNESBURG - 200000 Sangomas, traditionelle Medizinmänner, praktizieren in Südafrika – natürlich auch im Fußball. Hier sollen Tränke wie UmavuNdulula und eigenwillige Riten helfen, Tore zu schießen.

Ein paar Treppenstufen führen zum Laden von Dr. Smusiso Smith. In den Regalen reihen sich Flaschen mit Zähflüssigem, daneben Dutzende Pulver, verschraubt in Einmachgläsern. Im Hinterzimmer stehen vier Bottiche. Man könnte es als das Labor vom FC AmaZulu bezeichnen.

Jeden Samstagmorgen, sagt Smith, kommen zwei Stürmer des südafrikanischen Erstligisten die Stufen herauf, seine Praxis liegt am Ende des Muthi-Marktes für traditionelle Medizin von Durban. Dann greift der Sangoma, wie die traditionellen Heiler in Südafrika genannt werden, ins Regal und zieht eine Flasche UmavuNdulula hervor, zerkochte Baumrinde mit Essig und Salz. „Sie kommen vor jedem Spiel. Die Medizin gibt ihnen Kraft, Energie für Tore“, sagt Dr. Smith. Dosierung: Ein Glas am Morgen, eines vorm Anpfiff. 70 Rand kostet die Flasche, umgerechnet 7,50 Euro.

Die Praxis von Dr. Smith hat keine Tür, sie sieht aus wie eine geöffnete Garage. Über einem klapprigen Schreibtisch hängt das Zertifikat der Traditional Health Organization (THO), die rund ein Drittel der 200000 Sangomas in Südafrika vertritt. Das Vertrauen in sie ist bei Teilen der Bevölkerung groß, selbst bei einigen Politikern: Sangomas sind den rund 30000 westlichen Medizinern per Gesetz gleichgestellt; Smith kann Patienten krank schreiben, auch wenn das kaum eine Firma respektiert. Und er kann Geld mit Fußball verdienen.

Denn dort haben Sangomas bisweilen beachtlichen Einfluss. Sie dürfen selbst bei der WM offiziell praktizieren, hat die Fifa beschlossen – unter Hinweis auf die Doping-Bestimmungen. Rund 50 Prozent der Profis, schätzt Südafrikas Nationalspieler Matthew Booth, vertrauen auf die Dienste der Sangomas. Meist lassen sie sich im privaten Rahmen behandeln, zumal vielen Trainern das Verständnis für traditionelle Medizin fehlt: Mit Algerien wird nur einer der sechs afrikanischen WM-Teilnehmer von einem Afrikaner trainiert.

Rainer Dinkelacker hat die Macht der Sangomas mehr als einmal erlebt. Nur wenige Tage, nachdem der Torwarttrainer 1999 beim Kultverein Kaizer Chiefs anheuerte, fuhr das Team zu einem Auswärtsspiel in den Norden. Als der Bus inmitten der Dunkelheit stoppte, stieg das komplette Team aus und ging in die Büsche. „Ich bin mit meiner Kamera hinterher gegangen und habe ein Foto gemacht“, erzählt der Schwabe. „Erst als der Blitz auslöste habe ich gesehen, dass sie sich alle mit einem Pulver einrieben." Von wütenden Blicken begleitet, stieg Dinkelacker zurück in den Bus. „Sag' am besten nichts“, raunte ihm der Trainer zu.

Der Deutsche musste einen Weg finden, mit dem traditionellen Glauben umzugehen. Denn der ist alltäglich präsent: Die Chiefs haben ihren eigenen Sangoma. Im Trainingsanzug gekleidet, bestreicht er vor jedem Spiel Oberkörper und Stirn der Profis mit einem in Wasser aufgelösten Pulver. Die Prozedur dauert. Jedes Mal verharrt er einige Minuten und murmelt wie in Trance vor sich hin. Dinkelacker bleibt davon verschont: „Ich berühre mit dem Wasser kurz das Shirt und dann die Stirn. Das reicht für die Jungs aus, um mich als Teil des Teams zu akzeptieren.“

Doch wer sich weigert, der fliegt. Lungsi Mooi hat bis vor ein paar Monaten als Managerin von Bay United in Port Elizabeth gearbeitet. Die 42-Jährige erzählt: „Ein Spieler der Chiefs hat sich dagegen gesträubt, die Flüssigkeit aufzutragen. Der Sangoma rief daraufhin bei Kaizer Motaung (der Klubbesitzer, d. Red.) an. Der Junge war noch am gleichen Tag raus aus der Startelf." Und wechselte bald zu Bay United.

Südafrikas Profi-Liga PSL wird seit 1996 von Europäern geführt. Die traditionellen Elemente des Fußballs werden geduldet - solange sie nicht im größeren Maße öffentlich werden. Schließlich könnte die PSL, die sich professionalisieren will, auf große Sponsoren unseriös wirken.

Auf dem Muthi-Markt von Durban hat Dr. Smith dennoch genug Kundschaft, um zu überleben. Er verpackt eine Flasche UmavuNdulula in Zeitungspapier. Könnten damit auch die deutschen Stürmer treffen? Smith nickt. „Natürlich, sie wirkt bei jedem.“ Beinahe unerklärlich also, dass der FC AmaZulu die Saison nur als Neunter der Liga beendet hat. Trotz UmavuNdulula.

Christian Putsch

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