Hauswald: "Deutschland ist Vorbild für die Südkoreaner"
Moskau - WM-Gespräch mit Simone Hauswald. Die frühere Biathletin (39) ist die Tochter einer Südkoreanerin und eines Deutschen. Bei den Olympischen Spielen 2010 gewann sie zweimal Bronze.
AZ: Frau Hauswald, die deutsche Mannschaft spielt heute bei der WM gegen Südkorea. Ihre Mutter kommt von dort. Wie groß ist die Fußballbegeisterung im Land?
SIMONE HAUSWALD: Fußball ist definitiv nicht die Sportart Nummer eins in Südkorea. Ganz hoch im Kurs steht Golf, auch im Bogenschießen sind die Südkoreaner Weltspitze. Im Winter fokussiert sich das Interesse auf Eisschnelllauf und Shorttrack. Aber während der WM verfolgen die Südkoreaner sicherlich auch die Fußball-Spiele interessiert.
Wie schauen die Südkoreaner die WM-Spiele? Gehen sie emotional aus sich heraus oder sind sie eher asiatisch-zurückhaltend?
Ich war noch nie während einer WM in Südkorea, aber generell sind die Koreaner zurückhaltend, was Emotionen betrifft. Die jüngeren Generationen gehen mehr aus sich raus, aber die älteren Menschen sind sehr verhalten. Bei unserem letzten Besuch haben wir es geschafft, meine Tante und meinen Onkel mal zu umarmen. Normalerweise ist der Händedruck für einen Koreaner schon das größte Zeichen der Wertschätzung, das Höchste der Gefühle.
Wie blickt man in Südkorea auf Deutschland? In Sachen Wiedervereinigung gilt die Bundesrepublik ja immer als Vorbild.
Das Thema Wiedervereinigung ist immer präsent. Wir waren im April in Südkorea im Urlaub, als sich gerade die beiden koreanischen Präsidenten, Kim Jong-Un und Moon Jae-In, zu dem historischen Handschlag getroffen haben. Das war ein sehr bewegender Moment auch für mich, der viel Hoffnung gemacht hat. Deutschland ist in Sachen Wiedervereinigung Vorbild und Hoffnungsträger für die Koreaner. Die Trennung über all die Jahrzehnte hat sehr viele Schmerzen verursacht und Wunden hinterlassen.

Wie lebt man in Südkorea mit der ständigen Bedrohung eines atomaren Konflikts mit dem Norden?
Mir scheint, dass die Menschen das ausblenden und gelernt haben, damit umzugehen. Meine Tante sieht das immer sehr gelassen, wenn meine Mama mit ihr telefoniert, auch in den letzten Monaten, als der Konflikt wieder hochgekocht ist. Die Südkoreaner haben ein gutes Gespür dafür, wann die Bedrohung wirklich ernst wird.
Wie würden Sie die Mentalität der Koreaner generell beschreiben?
Sie sind sehr traditionell, die Familie steht über allem. Die Männer arbeiten sehr, sehr viel, die Frauen sind zu Hause und kümmern sich um die Kinder, denen in der Schule und auch in der Freizeit viel abverlangt wird. Das koreanische System legt viel Wert auf Disziplin und Leistung, da steckt ein großer Druck dahinter.
Mental-Tipp: Motivation aus der Vergangenheit ziehen
Sie arbeiten als Mentaltrainerin. Verfolgen Sie die WM-Spiele auch aus diesem Blickwinkel?
Klar schaut man mit einem anderen Auge auf die Spiele. Beim deutschen Auftaktspiel gegen Mexiko zum Beispiel konnte man beobachten, wie die Emotionen mit den deutschen Spielern durchgegangen sind. Da wird dann vielleicht auch mal ein Bein anders gestellt, als man es mit klarem Kopf tun würde. Das Spiel gegen Schweden, vor allem die letzten Minuten, nachdem Boateng vom Platz musste, war aus der Sicht des Mentaltrainers eine klasse Leistung. Wie sie sich zusammengerauft haben und bis zum Schluss versucht haben, zu gewinnen und den Fokus zu halten. Das hat sich gelohnt.
Was würden Sie den Fußballprofis in solchen Drucksituationen raten?
Man sollte sich auf seine innere Stärke konzentrieren. Man muss sich Ressourcen, die man aus vergangenen Erfolgen, zum Beispiel dem WM-Titel 2014, mitgenommen hat, wieder wachrufen. Diese Stärke muss man aus der Vergangenheit abkoppeln und ins Jetzt integrieren. Ich habe mich immer mit Bildern und Erfolgen aus der Vergangenheit vorbereitet, das stärkt das Selbstvertrauen.
Können Sie die Druck-Debatte nachvollziehen, die Per Mertesacker mit seinen Aussagen ausgelöst hat, als er sagte, er habe auf die hohe Erwartungshaltung vor jedem Spiel mit Brechreiz und Durchfall reagiert?
Auf jeden Fall. In den letzten Jahrzehnten hat der Fußball in unserer Gesellschaft einen Stellenwert eingenommen, der manchmal utopisch erscheint. Dass auch Fußballer Menschen sind, die Gefühle haben und vielleicht mit Druck nicht so umgehen können, sollte jedem klar sein. Ich fand es wichtig, dass Per Mertesacker damit an die Öffentlichkeit gegangen ist.
Welche Konsequenzen sollten die Klubs daraus ziehen?
Die Debatte sollte Menschen, die im Fußball arbeiten, zum Nachdenken bringen, damit sie Nachwuchsspieler anders auf solche Situationen vorbereiten können. Es wäre sinnvoll für Profiteams, nicht nur in Krisensituationen Psychologen oder Mentaltrainer zu konsultieren, sondern diese fest in den Alltag der Teams zu integrieren. Denn Sportler sind nur so lange leistungsfähig, wie sie gelernt haben, mit bestimmten Situationen umzugehen.
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