Hansi Flick emanzipiert sich – DFB unter Erfolgsdruck

2014 Weltmeister als Assistent von Jogi Löw, nun steht der ehemalige Erfolgscoach des FC Bayern selbst in der Verantwortung. Im Auftakt-Spiel gegen Japan wird sich zeigen, wie sich der Bundestrainer entwickelt hat.
von  Patrick Strasser
Hansi Flick
Hansi Flick © IMAGO/ULMER Pressebildagentur

Doha - Es ging in den ersten Tagen dieser WM stets darum, Zeichen zu setzen. Die Menschenrechtsdiskussion um den Gastgeber Katar, das Verbot der Fifa gegenüber den europäischen Teilnehmern, die "One-Love"-Armbinde zu tragen.

Viel (Symbol-) Politik, wenig Fußball. Zurecht. Aber trotzdem wird gekickt, am Mittwoch steigt Deutschland ins Turnier ein und möchte in Katar, anders als bei der WM 2018 in Russland (0:1 gegen Mexiko) und bei der EM im letzten Jahr (0:1 gegen Frankreich) ein erstes Gruppenspiel gewinnen. Aller schlechten Dinge sollen gegen Japan (14 Uhr, ARD, MagentaTV und im AZ-Liveticker) im Khalifa International Stadium nicht drei sein. "Wir wissen, dass unsere Gruppe sehr stark ist", sagte Bundestrainer Hansi Flick, "da wollen wir gleich ein Zeichen setzen." Sportlich.

Mit Flicks Spielstil: Offensiv, aggressiv, mutig. Und voller Risiken, die er gerne in Kauf nimmt. Stichwort Konterabsicherung, Restverteidigung – gefährlich gegen Umschaltkünstler wie die Japaner. Aber: No risk, no fun. Wer nicht wagt, der nicht (Trophäen) gewinnt.

Hansi Flick: Vom Kovac-Co zum erfolgreichen Sextuple-Trainer

Als Assistent ins Trainerteam von Niko Kovac im Sommer 2019 zum FC Bayern geholt, holte Flick nach seiner Beförderung im November desselben Jahres mehr Titel als man für möglich gehalten hätte. Das historische, nie dagewesene Sextuple und am Ende seiner nur 19 Monate währenden Amtszeit im Mai 2021 noch zum zweiten Mal die Meisterschaft, der siebte Streich.

Da hatte der DFB längst gerufen. Wieder sollte er vom (einstigen) Co-Trainer, damals unter Joachim Löw, aufsteigen – diesmal aber kam er nicht als Zuarbeiter, sondern wechselte lediglich den Thron der Trainerzunft. Vom gefeierten Bayern-Coach ins höchste Amt des Landes: Bundestrainer.

Zum 1. August 2021 fing Flick beim DFB an, gewann acht Partien am Stück, sicherte nach der Enttäuschung der EM (Achtelfinal-Aus gegen England) ganz souverän die Qualifikation für diese WM. Doch in der Nations League, gegen stärkere Gegner wie England, Italien und Ungarn, ruckelte es bedenklich – nur ein Sieg in sechs Partien. Vier Remis erinnerten hier und da an die am Ende zähe Ära von Weltmeister-Trainer Löw, der seit der EM 2008 sieben Turniere am Stück verantwortete.

Wer die Sommermärchen-WM 2006 und somit den Motivationssachverständigen Jürgen Klinsmann als Erdbewohner erlebt hat, ist bald schon volljährig. Der ewige Löw, nun 62 Jahre alt, hat sich zurückgezogen, genießt seinen Vorruhestand und schickte via Interview im "Express" warme Worte an seinen Hansi: "Er hat es eingehend bewiesen, dass er das richtige Händchen hat." Die beiden sind im Kontakt, telefonieren regelmäßig, waren kürzlich noch gemeinsam essen. Väterliche Ratschläge inklusive. "Für ihn ist es schließlich sein erstes Turnier als Cheftrainer", so Löw.

Flick mehr Analytiker als Bauchmensch Jogi

Flick, der von 2008 bis zum WM-Triumph 2014 in Brasilien Löw zuarbeitete, ist mehr Analytiker als Bauchmensch Jogi, was seine Entscheidungsfindung bei Nominierung, Aufstellung und Taktik betrifft. Der gebürtige Heidelberger kommt mehr über die Empathie. Er sei immer fair zu seinen Spielern, ein Mutmacher und Tröster – das Bild vom Menschenfänger sei für ihn erfunden worden, heißt es aus dem Innercircle des DFB. Was er sonst noch anders macht? Während Löw am Ende seiner Amtszeit entrückt und stur wirkte, gilt Flick als totaler Teamplayer. Ein Klimawandel innerhalb der Nationalelf entfachte Euphorie, kurzfristig war das DFB-Team auch bei den Fans wieder in. Alles längst wieder verflogen.

Der Druck auf Flick ist hoch – gerade, weil er der absolute Wunschkandidat des DFB war. Mit dem Japan-Spiel beginnt die Beweispflicht seines Schaffens und Könnens.

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