Gnadenlos gut: Löw hat nur zwei Sorgen bis zur WM
Hannover/München - Martin O’Neill war zufrieden, er wirkte sogar ziemlich glücklich. Wann kann man das schon mal über einen Trainer sagen, dessen Mannschaft gerade 0:2 verloren hat und dem Gegner dabei über 90 Minuten hinterhergelaufen ist wie ein Hund seinem Herrchen? Aber O’Neill hatte eine gute Erklärung für seine Laune. "Ich zweifle daran, dass es weltweit eine Mannschaft gibt, die diese deutsche Mannschaft aufhalten kann", sagte der Coach der Nordiren: "Wir wollten einfach nicht zu hoch verlieren."
"Qualifikation gnadenlos durchziehen"
Bemerkenswert und zugleich doch: nachvollziehbar. Nach drei Spielen in dieser WM-Qualifikation muss man festhalten, dass die Haltung des nordirischen Trainers nichts anderes ist als eine Tatsachenbeschreibung der Machtverhältnisse in Gruppe C. "Deutschland wird die Gruppe ganz klar gewinnen", sagte O’Neill. "Für uns geht es nur um den zweiten Platz." Die Tschechen, Norweger und Aserbaidschaner denken genauso. Nur der Bundestrainer (noch) nicht. "Wir wollen die Qualifikation gnadenlos durchziehen", sagte Joachim Löw noch am Abend in Hannover. Er hat die vergangene EM-Quali nicht vergessen, als die DFB-Elf nach Niederlagen gegen Polen und Irland sogar zittern musste.
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"Wir müssen weiter diese stabile Leistung zeigen", forderte er. Doch nach drei Siegen und 8:0-Toren gegen die stärksten Gruppengegner Norwegen, Tschechien und Nordirland gibt es keine Zweifel, dass der Weltmeister an der Endrunde 2018 in Russland teilnehmen wird. Die Qualifikation sei "nur noch eine Frage der Zeit", sagte Ex-DFB-Kapitän Philipp Lahm am Mittwoch in München. "Wir haben inzwischen eine unglaubliche Dominanz in unserem Spiel erreicht", stellte auch Löw zufrieden fest. Ernsthafte Gegner werden erst bei der WM kommen – und gelegentlich in Testspielen wie dem gegen Italien am 15. November in Mailand.
Der Kader für die WM steht
Löw kann deshalb schon jetzt an Russland denken. In den kommenden Wochen, das kündigte der Bundestrainer an, werde er mit Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff ins Land des WM-Gastgebers reisen, um sich nach möglichen Quartieren umzusehen. Weitere Themen bis zum nächsten Quali-Spiel gegen San Marino (11. November): Löws mögliche Vertragsverlängerung über 2018 hinaus – erste Gespräche mit dem DFB sollen in Kürze beginnen – sowie die Planung des Confed Cups im Sommer 2017 in Russland, bei dem Löw einige seiner Stars schonen will.
Sportlich geht es für den Bundestrainer nur noch um Kleinigkeiten, die Stammelf für das nächste große Turnier hat er bereits jetzt komplett. Eine gnadenlos gute Perspektive 20 Monate vor der WM. "In Details wollen wir uns weiter verbessern", sagte Löw: "Es bleibt ein wichtiges Thema, an der Effizienz zu arbeiten." Dies ist vielleicht die größte Herausforderung. Im Angriff stellt Mario Götze weiter nur eine unbefriedigende Lösung dar. Hoffnung macht Mario Gomez, der die Länderspielwoche verletzt verpasste. Weitere Stürmer (Davie Selke, Timo Werner) haben bislang nicht nachgewiesen, dass sie für das höchste internationale Niveau in Frage kommen.
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Anders ist die Situation bei Marco Reus, der zweifellos Weltklasse-Format besitzt. Doch der Dortmunder war in der Vergangenheit immer wieder verletzt, verpasste die WM 2014 und die EM 2016. In dieser Saison hat er wegen einer Adduktorenverletzung noch keine Sekunde für Dortmund gespielt. Gut für Löw: Im offensiven Mittelfeld hat er diverse Top-Optionen (Julian Draxler, Leroy Sané, André Schürrle, Julian Brandt), er ist nicht auf Reus angewiesen. Ähnlich viel Auswahl gibt es im Zentrum, nach der Rückkehr von Ilkay Gündogan denkt Löw sogar über eine "Doppel-Zehn" mit Mesut Özil nach. "Deutschland hat auf jeder Position Topspieler, eine unglaubliche Qualität", sagte O’Neill nach der Lehrstunde am Dienstagabend. Er wird nicht der letzte Trainer gewesen sein, der dies anerkennen muss.