"Fußballspiele werden zu Gewalt-Events"

Randale von Bremer Fans in St.Etienne, Krawalle in der Bundesliga: Der Fanforscher Gunter A. Pliz erklärt wer sich gewaltbereiten Ultras anschließt und welche Schuld die Polizei trifft.
von  Abendzeitung

Randale von Bremer Fans in St.Etienne, Krawalle in der Bundesliga: Der Fanforscher Gunter A. Pliz erklärt wer sich gewaltbereiten Ultras anschließt und welche Schuld die Polizei trifft.

AZ: Herr Pilz, Donnerstagabend hat’s wieder gekracht. Bremer Fans haben beim Uefa-Cup-Spiel in St. Etienne randaliert. Zuletzt kam es auch bei Spielen in Deutschland zu teils schweren Krawallen. Hat der Fußball ein Gewaltproblem?

GUNTER A. PILZ: Ich beobachte eine neue Art von Gewalt-Tourismus. Dabei werden Fußballspiele zunehmend als so genannte Gewalt- Events missbraucht.

Geht diese Randale von Hooligans aus?

Es sind vor allem Fans aus der Ultra-Szene. Die klassischen Hooligans sehe ich als Auslaufmodell. Hooligans interessieren sich nicht für Fußball, sie sagen: Gewalt ist geil! Fußball nehmen sie zum Anlass, diese Fantasien auszuleben.

Ultras machen das nicht?

Fans, die sich als Teil von Ultra-Gruppen sehen, sind fanatische Anhänger ihres Vereins und vom Selbstverständnis her friedlich. Allerdings spalten sich Gewaltbereite ab, die an Hooligans erinnern. Ich bezeichne diese Gruppen daher als Hooltras.

Wer schließt sich den so genannten Hooltras an?

Immer mehr jugendliche Fans sind fasziniert von den Hooltras. Vor allem bei Auswärtsfahrten in fremde Städte und Stadien. Dort holen sich junge Anhänger ihre emotionalen Kicks. Wenn gegnerischen Fans im heimischen Stadion bengalische Feuer und Rauchbomben zünden, üben sie symbolische Gewalt aus. Es wird gezeigt: Wir erobern eure Stadt, euer Territorium!

Bei symbolischer Gewalt bleibt es aber oft nicht.

Damit haben auch die Entwicklungen im modernen Fußball zu tun. Ultras halten die sozialen Werte des Fußballs hoch. Viele fühlen sich durch die brutale Kommerzialisierung von ihrem Sport entfremdet. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dadurch Gewaltpotenzial freigesetzt wird.

Fangruppierungen gaben zuletzt auch der Polizei die Schuld für Randale. Zurecht?

Wenn die Polizei Fans mit einer Hundertschaft empfängt und in einem mobilen Kessel abschirmt, darf man sich nicht wundern, wenn Situationen eskalieren. Es gilt, die Räume von Hooltras einzuengen. Aber gleichzeitig friedlichen Ultras Räume zu lassen - für Selbstinszenierung, Choreografien, Stimmung. Sie sollen ihre Identifikation ausleben können. Leider sehen das viele Polizei-Hardliner anders.

Sie meinen Konrad Freiberg, Chef der Polizeigewerkschaft, der sagte, es sei eine Frage der Zeit, bis es Tote gebe?

Was Herr Freiberg erzählt, ist dummes Zeug, völlig realitätsfern. Es dient dazu, aus Gewerkschaftssicht Druck auf die Innenminister auszuüben. Das muss ich so deutlich sagen. Ich hoffe, die besonnenen Kräfte setzen sich durch.

Was kann die Polizei besser machen?

In Hannover werden erfolgreich Konfliktmanager eingesetzt. Diese Polizeibeamte empfangen Ultras schon vor dem Stadion und sagen klar, was geht und was nicht. Wenn es Probleme gibt, rückt keine Hundertschaft an. Ultras werden zunächst auf die Konsequenzen hingewiesen. Diese Methode kommt sehr gut an. Wir stehen bei der Gewalt-Problematik am Scheideweg und müssen aufpassen, dass Gewalt rund um Fußball nicht weiter eskaliert.

Interview: Reinhard Keck

Immer wieder Randale

6. März 2009

Beim Zweitliga-Spiel St. Pauli gegen Hansa Rostock kommt es zu schweren Krawallen. Bei einer Straßenschlacht wird ein 23-jähriger Polizist schwer verletzt.

14. März

Rund 1000 Ultras randalieren beim Spiel des 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach. Die Bilanz: Acht verletzte Polizisten, 42 Festnahmen.

18. März

Ex-Bundesligatorwart Georg Koch (37) muss nach einer Knallkörper-Attacke im Wiener Derby im August seine Karriere endgültig beenden.

18. März

Im Uefa-Cup-Achtelfinalrückspiel zünden Ultras von Werder Bremen Rauchbomben und bengalische Feuer im Stadion von St. Etienne.

19. März

Schalke 04 spricht gegen 121 Fans Stadionverbote für drei Jahre aus und installiert Fangnetze, um Wurfgeschosse abzuhalten.

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