Fußball-Legende Pelé: Vom Schuhputzer zum König
Edson Arantes do Nascimento war schon längst "O Rei". Der König. Ein Idol. Ein Weltstar. Zweimal hatte er bereits den WM-Titel gewonnen und es war rund um den Zenit seiner Karriere, als er Mitte der sechziger Jahre mal wieder nach Bauru reiste – in den Ort seiner Kindheit. Um zu erfahren, woher sein Name eigentlich käme. Und warum er überhaupt so heißt: Pelé.
Warum Pelé Pelé heißt
Er besuchte seine alten Freunde, mit denen er einst in den Straßen der Provinzstadt barfuß gekickt hatte. Darum nannte man das Team ja schließlich auch "Die Schuhlosen".
Er befragte die alten Schulkameraden, er traf seine früheren Nachbarn, aber niemand konnte ihm eine schlüssige Erklärung geben. "Ab einem gewissen Tag riefen sich mich einfach so, Pelé", sagte er später, "ein Begriff ohne Bedeutung. Sie meinten nur, er würde zu mir passen. Und so wurde ich den Namen nie mehr los."
Weshalb sich der Begriff Pelé als eines der beiden unergründlichsten Mysterien in der Geschichte des Weltfußballs zur Herkunft von Spitznamen manifestierte – neben dem großen Hans-Georg Schwarzenbeck, der bis heute rätselt, warum er auf der Bolzwiese neben der Rotbuchenschule in München-Harlaching auf einmal der Katsche war.
Aber das ist eine andere Geschichte. Eine ganz andere. . .
Pelé: Alles begann in Três Corações
Die Geschichte des vielleicht besten Fußballspielers, der je einen Fußball berührte, begann in Três Corações im Südosten Brasiliens. Der Vater João Ramos, Künstlername Dodinho, ein hoffnungsvoller junger Fußballer mit großen Träumen, der sich 1942 in seinem allerersten Spiel als Profikicker bei Atlético Mineiro mit 24 die Kreuzbänder riss und das Knie so irreparabel ruinierte, dass seine Karriere auch gleich schon wieder vorbei war.
Die Mutter, Dona Celeste, die 15 war, als sie den in Três Corações stationierten Soldaten João Ramos do Nascimento heiratete. Mit 17 kam dann Edson, das erste Kind, den sie nach Thomas Alva Edison benannten, den Erfinder der Glühbirne. Zumindest die Herkunft dieses Namens war für alle Zeit geklärt.
Umzug und Existenzkampf
Die Familie zog bald um nach Bauru, kämpfte sich durch eine dürftige Existenz. Und als später noch die Geschwister Jair und Maria Lucia zur Welt kamen, saßen sie zu fünft hungrig um den Esstisch, es reichte immer gerade eben so – zu mehr aber auch eben nicht.
Pelé war bereits Multimillionär, als er einmal beim Rückblick auf seine Kindheit die Lebensumstände reflektierte: "Armut ist ein Fluch, der dich krank macht, der den Geist austrocknet, der dich vergiftet. Armut ist Angst. Nicht Angst vor dem Sterben, der Tod ist eh unausweichlich. Armut ist Angst vor dem Leben."
So spricht einer, der die Armut kennt, in sich trägt. Gerade vor diesem Hintergrund ist es auch umso mehr nachvollziehen, warum Pelé später auf der Suche nach sicherem Wohlstand und Reichtum schon inflationär Werbeverträge wofür auch immer unterzeichnete, warum er zum gefeierten Liebling der brasilianischen Society wurde.
Und vielleicht ist aus seiner eigenen Vita heraus auch zu verstehen, warum er oft Wege des geringstmöglichen Widerstands beschritt und sich etwa in der Zeit der Militärdiktatur devot anbiederte bei den machthabenden Generälen seines Landes. Weil er, Pelé, der Superstar, der Multimillionär, immer noch um das Gefühl wusste, wie das ist, nichts zu haben, war es wohl die Angst, die ihn antrieb.
Die Angst, wieder abzustürzen, verstoßen und fallen gelassen zu werden. Die Angst vor der Rückkehr in die Armut.
Nicht mal Geld für einen Fußball
In eine Zeit wie damals, als seine Eltern nicht einmal Geld hatten für einen richtigen Ball. Der Vater stopfte dafür oft einen alten Socken mit Lumpen oder mit Zeitungspapier und wickelte ihn mit einer Schnur zusammen. Manchmal klauten Edson und seine Kumpels aus den Hinterhöfen des Viertels frische Kleidung von der Wäscheleine und knüllten sie zu einem Ball zusammen. Und wenn er mal erwischt wurde, sagte er nur zur Verteidigung: "Es dient einem höheren Zweck." Hätten die wütenden Nachbarn damals schon gewusst, dass der stibitzende Striezi einmal der weltbeste Fußballer werden würde, sie hätten ihm wohl ihren gesamten Kleiderschrank überlassen. . .
Nach der vierten Klasse brach Edson die Schule ab. Auch die Eltern erachteten es als weitaus sinnvoller, ihren ältesten Sohn beim Schuhputzen einige Cruzeiros verdienen zu lassen.
Anfangs träumte der Bub noch von einem Leben als Flugzeugpilot, doch die Laufbahn als Fußballprofi wurde mit den Jahren immer unvermeidlicher, dafür war der kleine Pelé einfach zu gut.
Beeindruckendes Siegtor beim Jugendturnier
Als er zwölf war, organisierte der Bürgermeister von Bauru ein lokales Jugendturnier. 5.000 Menschen sahen im örtlichen Stadion zu, wie er mit dem entscheidenden Siegtor seiner Mannschaft "Little America" zum Titel verhalf – nichts ahnend, dass dieser Junge nur fünf Jahre später Brasilien zum ersten WM-Triumph führen sollte.
Damit löste Pelé dann auch das Versprechen ein, das er mit zehn Jahren seinem Vater gegeben hatte, als der 1950 vor dem Radio unter Tränen das traumatische WM-Finalspiel von Maracanã verfolgte, das unfassbare 1:2 Brasiliens gegen Uruguay. Eines Tages wollte er für seinen weinenden Papa Weltmeister werden. Er wurde es dreimal, der Vater erlebte alle Titel mit und starb erst 1996 mit 79 Jahren.
Auf der Tribüne damals beim Jugendturnier in Bauru saß auch Waldemar de Brito, WM-Teilnehmer von 1934, inzwischen Trainer. Gegenüber den Eltern schwärmte de Brito von einem Talent, wie er es noch nirgendwo gesehen hatte, und gelobte, ihm beim 400 Kilometer entfernten FC Santos zu einer großen Karriere zu verhelfen.
Dona Celeste zögerte lange, dann willigte sie ein mit den Worten: "Ich will nicht, dass du dein Leben lang Schuhe putzt." Das musste er auch nie mehr.
Am 20. November, gut fünf Wochen vor seinem Tod, postete Pelé noch ein wunderschönes berührendes Bild, das ihn in inniger Umarmung mit seiner Mutter zeigt. Es entstand während der WM 1966, als ihn Dona Celeste mit einem Besuch im Teamquartier in England überraschte.
Unter das Foto schrieb Pelé eine Liebeserklärung, für die Vermittlung von Werten wie Nächstenliebe und Friedfertigkeit. "Ich habe 100 Gründe, als Sohn dankbar zu sein." Denn der 20. November war der Tag ihres 100. Geburtstags.
Nun muss Dona Celeste ihren ältesten Sohn zu Grabe tragen.
Ihren Sohn, den König.
Am Dienstag lesen Sie in der Printausgabe der AZ und auf abendzeitung-muenchen.de Teil 2 der großen Pelé-Serie: Der Aufstieg zum Weltstar
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