Fußball in Zeiten der Krise: Hoffen auf neues "Sommermärchen"

Fußball kann auch in schwierigen Zeiten Laune machen. So wie am 14. Juni 2006 auf der Tribüne in Dortmund war die Bundeskanzlerin in ihrem schweren Amt nie zuvor und danach nie wieder zu erleben.
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Die jubelnde Kanzlerin - hier im WM-Viertelfinale 2006 Deutschland gegen Argentinien
dpa Die jubelnde Kanzlerin - hier im WM-Viertelfinale 2006 Deutschland gegen Argentinien

BERLIN - Fußball kann auch in schwierigen Zeiten Laune machen. So wie am 14. Juni 2006 auf der Tribüne in Dortmund war die Bundeskanzlerin in ihrem schweren Amt nie zuvor und danach nie wieder zu erleben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hüpfte hoch vor Freude, federleicht auf einmal, die Mundwinkel ganz oben, ein breites Lachen im Gesicht. So fröhlich nahm das «Sommermärchen» seinen Lauf.

Nachspielzeit im WM-Spiel gegen Polen, Flankenlauf und Pass David Odonkor, Oliver Neuville drückt ein zum 1:0. Nach diesem hoch emotionalen Erlebnis strömten immer mehr Fans auf die Party-Meilen. Bis zur Abschiedsfete des deutschen Teams am Brandenburger Tor waren es zusammen mehr als 15 Millionen vor den Großleinwänden.

Vier Jahre später setzen die rund 1600 Veranstalter von Fan-Partys wieder auf das Zauberwort «Public Viewing». Fußball allein zu Haus, und Mutti füllt die Erdnuss-Schälchen und schenkt liebevoll das Bier ein, das ist endgültig Satire von gestern.

Mit den Live-Übertragungen auf prall gefüllten Plätzen kehrt das Fernsehen ein bisschen in seine Anfänge zurück. Ganz früher hatten nur wenige einen Apparat, und bei großen Ereignissen versammelten sich die Nachbarn zu Seh-Gemeinschaften, auch vor Radio- und TV-Läden drängelten sich die Seher. Dieses wärmende Fan-Gefühl bestimmte auch die farbenfrohen Bilder 2006 und lässt sich auch wenige Tage vor Beginn der WM in Südafrika überall in Deutschland schon spüren.

An immer mehr Seitenscheiben von Autos knattern seit einigen Tagen die bekannten schwarz-rot-goldenen Fähnchen im Fahrtwind, und täglich werden es mehr. Auf Balkonen, Terrassen und an Fenstern wird zunehmend beflaggt. Immer mehr Wirte wittern das Geschäft des Jahres und haben sich beim Fußball-Weltverband die Lizenzen besorgt.

Die anfangs strenge FIFA hatte im Mai die Sende-Rechte rasch freigegeben, nachdem die zunächst abgelehnten Veranstalter des «Bundespressestrands» in Berlin öffentlich Druck erzeugt hatten. Der FIFA wurde das starke Interesse besonders in Deutschland an den Live- Bildern unter freiem Himmel und in Gaststätten, Altenheimen, Freibädern, kirchlichen Gemeindehäusern und sogar Bordellen klar.

Ob es auf den Fanmeilen wieder so stimmungsvoll werden kann wie damals hängt natürlich vor allem vom sportlichen Geschehen in Südafrika und vom Wetter hierzulande ab. Vor vier Jahren passte einfach alles, als Deutschland in München mit 4:2 gegen Costa Rica startete. «Fußball ist ein starkes Stück Leben», sagte der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Wolfgang Huber. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, sagte: «Die Leute wollen Optimismus, und Fußball bietet die Plattform.»

Die größte Fanmeile auf der Straße des 17. Juni am Brandenburger Tor platzte aus allen Nähten. Auch andere Meilen in Hamburg, Frankfurt, Leipzig und Düsseldorf mussten früh wegen Überfüllung geschlossen werden. «Ganz Berlin ist auf den Beinen» sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Seit dem Mauerfall war auf der historischen Meile nicht mehr so viel Schwarz-Rot-Gold. Die traditionelle Berlin-Meile ist auch dieses Mal in der Hauptstadt Schauplatz des offiziellen FIFA-Fanfestes.

Die friedliche Feierstimmung schuf damals sogar ein besseres Image für das ganze Land, weit über den Fußballsport hinaus. Sogar die britischen Medien entdeckten einigermaßen überrascht, dass die Deutschen zum Lachen keineswegs in den Keller gehen müssen. Die Fan- Partys machten die Gastgeber («Die Welt zu Gast bei Freunden») weltweit sympathisch und steigerten ihr Ansehen grundsätzlich.

Es waren auch die emotionalen Achterbahnfahrten, die die Menschen zu Millionen anlockten. Was für ein Aufschrei, als Torwart Jens Lehmann nach sorgfältigem Zettel-Studium im Viertelfinale gegen Argentinien den entscheidenden Elfmeter hielt. Und was für ein Psycho-Absturz, als im Halbfinale Italien in der Verlängerung zwei Mal erbarmungslos zuschlug. Aber auch in diesem Moment war das «Sommermärchen» eine gute Erfahrung für das Fußballvolk. Keine Wut brach sich Bahn, keine Randale, nirgends. Die Autokarawanen starteten um Mitternacht trotzdem hupend durch die Innenstädte. (dpa)

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