Frauen sind nachtragender, Männer oberflächlicher
Der 59-jährige Günther Wörle trainierte 28 Jahre Männer-Vereine in den Amateurligen. Nach den Frauen vom TSV Crailsheim betreut der Schwabe seit einem Jahr die Frauen des FC Bayern, die an diesem Sonntag Meister werden können. Wörles Tochter Tanja (28) spielt auch bei Bayern, Sohn Thomas bei Greuther Fürth. Im AZ-Interview spricht er über die kleinen und großen Unterschiede zwischen Frauen und Männern.
Von Florian Kinast
AZ: Herr Wörle, nach dem 0:4-Debakel gegen Duisburg am Mittwoch sagten Sie, es sei zum Heulen. Wer hat in der Kabine mehr geweint? Sie oder Ihre Frauen?
GÜNTHER WÖRLE: Bei ein, zwei Spielerinnen gab es Tränen. Und ich war auch deprimiert. Aber dann bin ich am Morgen danach laufen gegangen. Siebeneinhalb Kilometer bei mir in Thannhausen, quer durch die Landschaft. Das Laufen hilft mir oft, meine Sicht zu ändern: Das Negative hinter mir lassen, positiv denken. Optimistisch sein, noch daran glauben, dass wir Meister werden können. Damit möchte ich jetzt meine Mädls noch auf Sonntag einschwören.
Also sind Sie jetzt mehr denn je als Psychologe gefragt.
Natürlich. Trainingsmäßig kann ich nicht mehr viel machen. Ich muss sie jetzt aufbauen. Nachhaken bringt nichts. Das zieht uns nur noch mehr in die Tiefe. Das Reden mit den Mädls, das ist bis Sonntag meine Hauptaufgabe.
Ist das ein Unterschied zu den Männern? Müssen Sie Frauen anders anpacken?
Ja. Frauen brauchen viel mehr das Gespräch unter vier Augen. Die 28 Jahre, in denen ich Männer trainiert habe, da haust du schon mal einen Spruch raus, ohne dass du dir die Wortwahl überlegst. Später sitzt du in der Wirtschaft, trinkst ein Bier zusammen, und die Sache ist erledigt. Bei Frauen dagegen musst du dir nicht nur genau überlegen, was du sagst, sondern auch wann und wie. Frauen sind nachtragender. Wenn man da das Falsche sagt zum falschen Zeitpunkt, dann sind sie nicht mehr bereit, sich zu öffnen.
Mussten Sie den Umgang mit Frauen erst lernen?
Meine Tochter Tanja hat mit 12 mit Fußball angefangen, ich war oft bei ihren Spielen, hatte später Kontakt mit den Nationaltrainerinnen Tina Theune-Meyer und Silvia Neid. Darum wusste ich schon in etwa, wie es sein könnte. Und doch war ich erst sehr skeptisch, als das Angebot vom TSV Crailsheim kam, die Frauen zu trainieren.
Warum haben Sie es dann doch gemacht?
Weil mich meine Frauen überredet haben. Meine Gattin, meine beiden Töchter. Manchmal ist gar kein großer Unterschied zwischen Familie und Mannschaft. Bei beiden strebe ich nach Harmonie. Ich bin Sternzeichen Waage, ich will Ausgeglichenheit, Gerechtigkeit. Dass sich alle wohl fühlen. Daheim und im Team.
Sind Sie also der Vater der Bayern-Frauen?
Bei Bayern gibt es viele Väter. Aber ja, vielleicht könnte man das schon so sagen.
Anders als ein leiblicher Vater, mit dem ein Kind von Geburt an aufwächst, mussten Sie sich diese Rolle als Trainer aber sicher erst erarbeiten.
Das stimmt. Mir war wichtig, sie schnell kennenzulernen. Ich habe vor der Saison Fragebogen verteilt. Was Beruf angeht, Studium, Schule, auch Privates. Und manchmal spüre ich ja auch, wenn ich eine Spielerin beim Aufwärmen sehe, dass da etwas nicht stimmt. Dann rede ich mit ihr, frage, ob sie Probleme hat, was sie bedrückt.
Haben Sie das bei den Männern auch gemacht?
Nein. Bei den Männern laufen solche Dinge viel oberflächlicher ab. Bei den Frauen sind es die Einzelgespräche, die in die Tiefe gehen, die die Mädls brauchen. Dafür bin ich da.
Und auch dafür, wie Ihre Spielerin Bianca Rech einmal meinte, um das Feuer herauszunehmen, die Emotionen. Wird da oft herumgezickt, denken Sie manchmal nicht für sich: „Oh Mann: Frauen“?
Nein, tu ich nicht, es wird auch nicht gezickt, es ist nur manchmal Aggressivität drin. Da muss ich der ruhende Pol sein. Diesen ganzen Haufen von Frauen zusammenzubringen, es jeder Recht zu machen, wo jede anders tickt, ist schwer. Spricht man mit der einen länger, könnte die andere meinen, sie sei kein volles Mitglied, bei Frauen ist da der Neid größer. Bei uns Männern ist das anders.
Anders ist auch das Physische. Bei den Männern gehören zum Fußball archaische anmutende Männlichkeitsrituale. Imponiergehabe, sich das Trikot vom Leib zu reißen und mit Team und Trainer schwitzend und halbnackt am Boden zu wälzen. Sie müssen sich da bei den Frauen wohl zurückhalten.
Natürlich ist das viel distanzierter. Da klatscht man die Spielerin ab, gibt ihr einen Klaps auf den Rücken oder die Schulter. Oder man lächelt ihr ins Gesicht, das gibt ihr mindestens genauso viel.
Und wie ist es mit der Nähe in der Umkleidekabine? Müssen Sie da immer raus?
Ja, ich warte immer vor der Tür. Ich lasse die Mädls in Ruhe umziehen, und wenn sie fertig sind, dann gehe ich rein. Sicher, manchmal passiert es auch, dass ich kurz mal was holen muss. Ich versuche das zu vermeiden, nur manchmal geht es nicht anders. Und wenn es mal passiert, dass eine nicht angezogen ist, dann und sage ich immer: Mädls, denkt Euch nix, ich habe selber drei Frauen zuhause.
Vielleicht liegen Sie sich euphorisch am Sonntag ja doch noch in den Armen, wenn Sie Meister werden. Und dann geht es ab auf den Rathausbalkon. OB Christian Ude freut sich schon auf Sie.
Ich weiß nicht. Der Balkon ist eine Nummer zu groß für uns. Am Mittwoch war es schon zu groß für uns, vor über 3000 Zuschauern in Aschheim zu spielen. Das hat uns gelähmt. Da will ich gar nicht an den Rathausbalkon denken. Außerdem bringt das nichts, wenn keiner unten auf dem Marienplatz steht. Und ich will auch gar nicht ans Feiern denken. Erst einmal müssen wir gewinnen und sehen, wie die Konkurrenz spielt.
Ob mit oder ohne Titel, wie geht es bei Ihnen weiter?
Ich habe meinen Vertrag bis 2010 verlängert. Ich denke nur noch von Jahr zu Jahr, ich werde heuer 60, da muss ich auch auf die Gesundheit achten, auf meine Familie will ich auch mehr Rücksicht nehmen.
Als Nationaltrainer des Frauen-Teams hätten Sie mehr Zeit für die Familie.
Ich? Nationaltrainer? Um Gottes Willen, niemals. Ich bleibe immer Vereinstrainer.
Ob bei Bayern oder sonstwo, bleiben Sie den Frauen treu?
Vielleicht. Mit den Frauen macht es unheimlich viel Spaß. Da ist viel mehr Engagement und Einsatz, und das, obwohl fast alle eine 40-Stunden-Woche im Beruf haben oder für die Uni büffeln müssen. Ich möchte die Arbeit mit den Frauen nicht missen. Zu den Männern zieht mich im Moment nichts zurück.
Interview: Florian Kinast