Frau Antje: „Wir Holländer sind eben Käsköppe“
AZ: Hallo, Frau Driessen, oder sollen wir lieber Frau Antje sagen?
MADELEEN DRIESSEN (FRAU ANTJE): Ach, sagen Sie ruhig Frau Antje, ich werde wohl mein Leben lang Frau Antje sein, obwohl ich ja 2011 die Figur an eine neue Darstellerin weitergegeben habe. Aber für alle Welt bin ich Frau Antje. Das bin ich auch gerne.
Na dann, Frau Antje, die beiden verfänglichsten Fragen gleich vorneweg: Wer spielt den besseren Fußball: Deutschland oder Holland?
(lacht) Von Diplomatie haben Sie wohl noch nie was gehört! Wir Niederländer glauben trotz der Pleite gegen Dänemark, dass wir den besten Fußball der Welt spielen. Dieser Glaube begleitet uns bei jedem Turnier. Das mag keine realistische Einstellung sein, aber es ist eine niederländische. Daher sage ich, dass wir den besseren Fußball spielen. Aber jetzt kommt die Diplomatie: Wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass wir nicht den Titel holen, dann hätte ich kein Problem damit, wenn wir unserem großen Bruder Deutschland 2012 den Vortritt lassen würden.
Sehr diplomatisch. Zweite Frage. Wer macht den besseren Käse: Deutschland oder Holland?
Die Frage hingegen ist für Frau Antje leicht zu beantworten: Hollands Käse ist der beste der Welt. Da gibt es gar keine zwei Meinungen. Warum auch? Wir sind Käsköppe, dazu stehen wir, dazu stehe ich. Schon als Kind war Käse mein Lieblingsessen. Das mag ein Klischee sein, aber eines, auf das wir stolz sind.
Wo wir schon bei Klischees sind: Holland wird in Deutschland mit Käse, Tulpen, Tomaten, Coffeeshops und Campingwagen assoziiert.
Ja, so sind wir! Ich habe selber Tulpen in meinem Garten. Unsere Tomaten werden auch immer besser. Und zum Thema Campingwagen: Ich bin wahrscheinlich die einzige Holländerin, die noch nie in einem Campingwagen in den Urlaub gefahren ist. Zum Zelten ja, aber noch nie im Campingwagen. Nun, man kann nicht alle Klischees erfüllen.
Wir haben noch die Holzschuhe vergessen!
Wie konnten Sie! Ja, habe ich! Und zwar ganz tolle. Für meine Auftritte bei der WM 2006 in Deutschland wurden mir extra Holzschuhe mit Stutzen dran gefertigt. Die liebe ich, die trage ich immer noch. Wer kann schon von sich behaupten, Holzschuhe mit Stutzen zu haben? Bei dem Auftritt in der Fanmeile habe ich übrigens auch noch „Tulpen aus Amsterdam“ gesungen.
Jetzt haben wir alle Klischees. Wie wird man eigentlich als studierte Physikerin zur Werbefigur Frau Antje?
Ich denke, dass mir das Studium sogar den Titel mit eingebracht hat. Ich habe während meines Studiums nebenher gemodelt. Da war dieses Casting ausgeschrieben für eine Werbefigur in Deutschland. Die waren begeistert, dass ich Physikerin war. Man wollte eine Frau haben, die richtig niederländisch aussieht, eine positive Ausstrahlung und auch noch ein bisschen was im Kopf hat. Man wollte keine dumme Blondine. Und plötzlich war ich Frau Antje.
Ein Symbol für Holland.
Ja, das wurde es über die Jahre. Es gibt so Figuren, die sich verselbstständigt haben. Pippi Langstrumpf, Mickey Mouse. Das ist nett, kann man aber auch nicht erklären, wie so etwas läuft.
Wie läuft es denn momentan in Holland? Hat man das Drama des ewigen Zweiten schon überwunden? Bei der WM 2010 verlor man ja erneut im Finale gegen Spanien.
Da flossen für ein paar Tage oranje Tränen. Aber wir können schnell vergessen. Wir denken sehr schnell, dass für so ein kleines Land der zweite Platz auch toll ist. Jedes Land, bis auf den Sieger, beneidet uns um diese Platzierung. Klar ist das Wort „Vize“ in Holland nicht beliebt, aber wir glauben schnell wieder, dass wir es beim nächsten Mal halt dieses kleine bisschen besser machen. So fußballverrückt wie dieses Mal war es auch noch nie. Alles ist in Oranje. Jeder Supermarkt, jeder Laden, vom Baby bis zur Unterwäsche, alles.
Hollands Lieblingsfarbe.
Eher die einzige Farbe.
Bisher hieß es über die Niederlande meist, dass sie den schönsten Fußball spielen, aber nicht unbedingt den erfolgreichsten.
Das stimmt. Es war bei uns immer ein Selbstverständnis, dass wir zumindest schön spielen. Aber da hat sich ein bisschen was verändert. Bei der WM 2010 waren wir keineswegs immer ästhetisch. Es gab nicht wenige bei uns, die gesagt haben: Eigentlich spielen die Deutschen schöner als wir. Das war über Generationen nicht vorstellbar. Deutschland war vielleicht erfolgreicher, aber schöner? Wir werden sehen, wie es jetzt läuft. In Schönheit sterben ist nicht immer schön, aber reiner Ergebnisfußball auch nicht.
Was war Ihr einschneidendstes Fußballerlebnis?
Ich wohne zwar nahe am Ajax-Stadion, aber ich bin eigentlich nur großer Fußballfan, wenn Holland spielt. Mein bewegendstes Erlebnis war die Europameisterschaft 1988. Da standen wir im Finale und haben auch noch gewonnen. Und wissen Sie was?
Was denn?
Das Ganze fand auch noch an meinem Geburtstag statt. Seitdem ist für mich Geburtstag auch immer irgendwie mit Fußball verbunden.
Also jubelten die Holländer nicht, weil sie Europameister wurden, sondern weil die zukünftige Frau Antje Geburtstag hatte...
(lacht) So muss es gewesen sein. Spaß beiseite, das war ein großer Tag für Holland.
Wie hat man denn in den Niederlanden wahrgenommen, dass Arjen Robben, der im verlorenen Champions-League-Finale der Bayern gegen Chelsea einen wichtigen Elfer verschoss, im nächsten Heimspiel von den eigenen Fans ausgepfiffen wurde?
Das war nicht schön. Aber wir Holländer sind eben kein Volk, das lange seine Wunden leckt. Es gibt ganz viele, die meinten: Arjen, du hattest jedes Recht, traurig zu sein. Aber jetzt wische die Tränen ab und spiel’ wieder Fußball, die Zeit des Jammerns ist vorbei. Wir sind da sehr pragmatisch. Fast sogar fatalistisch.
Unvergessen in Deutschland sind auch Rijkaards Spuckattacke gegen Rudi Völler und Ronald Koeman, der sich mit dem deutschen Trikot den Hintern abwischte.
Das waren beides Aktionen, für die wir kein Verständnis haben. Bei aller Rivalität, man sieht uns ja oft als den kleinen Bruder Deutschlands, und kleine Brüder machen manchmal unschöne Dinge, um den großen Bruder zu ärgern, aber so ist nicht Holland. So wollen wir nicht sein. Unser Selbstverständnis ist es, dass wir ein tolerantes Land sind, das die Menschen akzeptiert.
Was zuletzt nicht immer der Fall war. Der Rechtspopulist Pim Fortuyn, der mit seinen Thesen das Land gespaltet hatte, wurde vor zehn Jahren ermordet, der radikale Anti-Islamist Theo van Gogh 2004.
Das sind beides Ereignisse, die sich tief in unsere Volksseele eingebrannt haben, über die man immer noch spricht, die man nie vergessen hat. Noch sie je vergessen will. Was Fortuyn mit seinem Hass, seinen Ideen verbreitet hat, das war nicht Holland. Und diese Intoleranz, dieser Hass, dem die beiden zum Opfer fielen, genau so wenig. Holland steht für Toleranz. Das darf sich nie ändern. Dafür steht Oranje.
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