FIFA-Krise: England bringt WM-Boykott ins Gespräch

Der frühere englische Verbandschef David Bernstein hat die europäischen Fußball-Nationen zum gemeinsamen Kampf gegen die FIFA aufgerufen und einen Boykott der Weltmeisterschaft ins Gespräch gebracht.
von  dpa

Frankfurt - "Es sind 54 Länder in der UEFA. Es gibt Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und die Niederlande - alle mächtig - und man kann ohne sie keine ernsthafte WM abhalten. Sie haben die Macht, das zu beeinflussen, wenn sie den Willen dazu haben", sagte Bernstein in einem BBC-Interview für den Fall, dass der Weltverband keine wirkungsvollen Reformen auf den Weg bringen sollte.

Die FIFA bezeichnete Bernstein als "totalitär" und "lächerlich". Sie erinnere ihn als das ehemalige Sowjet-Regime. Die Glaubwürdigkeit des Fußballs habe unter der jetzigen Verbandsführung erheblich gelitten. Die Wahl Katars zum WM-Gastgeber 2022 bezeichnete Bernstein als "die lächerlichste Entscheidung in der Sportgeschichte". Präsident Joseph Blatter werde so lange an der Spitze stehen, "bis jemand etwas dagegen" tue.

Keine Reaktion gibt es nach den turbulenten Tagen, die die FIFA in ihre größte Glaubwürdigkeitskrise gestürzt haben, von Präsident Blatter. Der Schweizer bekommt jetzt erneut Zunder aus England. Ein von Bernstein angeregter WM-Boykott hätte die Unterstützung der englischen Öffentlichkeit. Dessen ist sich der frühere Chef des Englischen Fußball-Verbandes (FA) sicher, der inzwischen aus der Anti-Diskriminierungs-Kommission der FIFA zurückgetreten ist. Dieses Gremium nannte er ineffektiv.

"England allein kann das nicht beeinflussen, ein Land allein kann das nicht. Aber innerhalb der UEFA hat England zweifellos die Macht, etwas zu bewirken. Und dafür muss man auch einen Rückzug von der nächsten WM in Betracht ziehen, sollte die FIFA keine richtige Reform durchführen", führte Bernstein aus. Dies schließe auch ein, dass es für Blatter keine fünfte Amtszeit als FIFA-Präsident gebe.

Bernstein reagierte mit seinen Äußerungen auf die weltweit kritisierten Ermittlungen der FIFA-Ethikkommission zu den WM-Vergaben 2018 und 2022 an Russland und Katar. Darin war den beiden Ausrichtern kein gravierendes Fehlverhalten bescheinigt worden.

Eine frühere FIFA-Informantin beschwerte sich unterdessen formell über ihre Behandlung in dem umstrittenen Bericht. Phaedra Almajid, Ex-Mitarbeiterin von Katars Bewerbungskomitee und wichtige Zeugin des FIFA-Sonderermittlers Michael Garcia, beklagt sich über den Verstoß gegen die Vertraulichkeit durch Eckerts Darstellung. Demnach fühlt sich Almajid "in Verruf gebracht". Damit habe Eckert den unhaltbaren Schluss stützen wollen, dass die Bewerbung im Dezember 2010 komplett akzeptabel gewesen ist. Ihre Aussagen würden durch den Bericht "plump, zynisch und fundamental fehlerhaft" als unzuverlässig dargestellt, schrieb Almajid in ihrem Brief an Garcia.

Inzwischen haben auch die Fußballverbände der Niederlande und Belgiens die FIFA aufgefordert, den gesamten Untersuchungsbericht zur WM-Vergabe vorzulegen. "Zusammen mit Belgien haben wir zwischenzeitlich in einem Brief an die FIFA darauf gedrungen, den Bericht zur Einsicht zu bekommen", sagte der Vorsitzende des niederländischen Verbandes KNVB, Michael van Praag, nach Angaben der Zeitung "De Telegraaf". Notfalls könnten die Namen von Betroffenen zunächst geschwärzt sein.

Die FIFA sollte den Korruptionsbericht des von ihr beauftragten US-Ermittlers Garcia "anonymisieren und veröffentlichen", forderte Van Praag. "Dann erfährt man wenigstens, was geschehen ist." Der Münchner Jurist Hans-Joachim Eckert hatte am Donnerstag einen Report auf der Basis des umfangreichen Garcia-Berichtes vorgelegt und die Vergabe der WM-Endrunden 2018 und 2022 für zulässig erklärt. Garcia kritisierte dies als "unvollständige und fehlerhafte Darstellung von Fakten und Schlussfolgerungen" und legte Einspruch ein.

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