Fernando Ribeiro von Moonspell im WM-Interview: Wie finden Sie Ronaldo?

Fernando Ribeiro von Moonspell spricht über die WM 2018, Ronaldo, das große Erdbeben von 1755 – und wie es Portugal verändert hat.
von  Matthias Kerber
Fernando Ribeiro, Sänger der portugiesischen Avantgarde-Metaller Moonspell.
Fernando Ribeiro, Sänger der portugiesischen Avantgarde-Metaller Moonspell. © Filipe Silva/ho

AZ: Senhor Ribeiro, Sie sind Sänger der portugiesischen Avantgarde-Metaller Moonspell und Dichter. Können Sie die Seele Portugals erklären?
FERNANDO RIBEIRO: Was für eine elementare Frage! (lacht) Es gibt Geschichtswissenschaftler, die sagen, dass Portugal ein Land ist, das gar nicht existieren dürfte. Wir waren immer der Nachbar des mächtigen, alles erdrückenden Spaniens. Sie wollten uns immer einnehmen, aber wir haben Widerstand geleistet und überlebt. Wir haben Leute wie Vasco da Gama, Ferdinand Magellan hervorgebracht. Aber wenn Sie nach der Seele Portugals fragen, wird Ihnen der Fado diese am besten erklären.

Die Musik Portugals.
Wir Portugiesen sind ein zweiköpfiges Wesen. Wir schaffen es gleichzeitig glücklich und unglücklich zu sein. Der Fado hat auch diese Dualität. Er kann sehr melancholisch, so traurig sein, dass er dir die Tränen in die Augen treibt. Das ist der Fado, der meiner Seele am nächsten ist. Aber es gibt auch heiteren Fado, eine Art Tanzmusik. Diese Dualität ist Portugal. Bei allem, was wir tun, schwingt eine Melancholie mit, die zuweilen an Depression grenzt. Melancholie ist ein Teil unserer Seele.

Melancholie strahlt Cristiano Ronaldo nicht aus.
Er ist sicher egozentrisch, aber er ist ein Symbol Portugals. Ob man es mag – oder nicht. Ronaldo ist der berühmteste Portugiese der Neuzeit, man kann in ganz Portugal nur schwer durch eine Straße gehen und nicht sein Konterfei sehen. Viele lieben ihn hier, mache hassen ihn, halten zu Lionel Messi, das finde ich diabolisch (lacht).

Wie finden Sie Ronaldo?
Ich mag die Dinge, die hinter der Maske des Superstars stattfinden. Er kommt aus einer sehr armen Familie, aber er schämt sich ihrer nie. Es stört ihn nicht, wenn sie schlecht gekleidet sind. Seine Schwester ist eine lausige Sängerin, aber er unterstützt sie bedingungslos. Familienmensch zu sein, ist sehr portugiesisch. Ich denke mir oft: Wenn ich seinen Lebensweg gehabt hätte, wäre ich wohl ein sehr viel größeres Arschloch als er es ist.

Wie haben Sie die EM 2016 mit den Triumph Portugals erlebt?
Keiner dachte, dass es zu unseren Lebzeiten passiert, dass Portugal einen Titel holt. Dann dieses Finale gegen Frankreich! Meine erste Erinnungen an ein großes Turnier war die EM 1984, als wir im Halbfinale an Frankreich gescheitert sind. Dafür 2018 Revanche zu nehmen, war doppelt süß.

Ein Finale, in dem Ronaldo gleich verletzt vom Feld musste.
Das war Drama pur. Als unser bester Spieler raus musste, weinend an der Seitenlinie stand, ein Schwarm Motten sich um ihn scharte, haben wir das als Symbol gesehen. Wenn alles gegen uns steht, ziehen wir Portgiesen daraus Kraft. Das ist die Schizophrene in uns. Als Éder das Siegtor schoss, war es eine magische Nacht.

Auf Ihrer Platte "1755" haben Sie sich des prägendsten Ereignisses der portugiesischen Geschichte angenommen – des Erdbebens, das fast ganz Lissabon zerstört hat.
Es war – bei all seiner Tragik – ein Ereignis der Befreiung. Man darf nicht vergessen, der Einfluss der katholischen Kirche war extrem. Die Befreiungsentwicklungen, die es in Deutschland mit der lutherischen Bewegung gegeben hat, gab es in Portugal nie. 200 Jahre nach der Entstehung des Protestantismus war in Portugal immer noch die Inquisition am Werk, wurden Protestanten auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Nach dem Erdbeben war die Vorstellung von Gott in Portugal eine andere?
Es war ein Ereignis voller Symbolismus. 40 der 100 Kirchen Lissabons wurden zerstört, während der Rotlicht-Bezirk verschont bleib. Viele Kirchen brannten aus, weil das Erdbeben an Allerheiligen stattfand und in den Kirchen viele Kerzen entzündeten waren. Dieser Tag ist in Portugal auch der Tag der Toten. Wie gesagt, es ist voller Symbolik. Entscheidend war, dass Sebastião de Mello ein unglaublich fähiger Politiker war und die Rettungsmaßnahmen in die Hand nahm. Er hat dafür gesorgt, dass die Toten beerdigt und den Lebenden geholfen wurde. Er hat sich der Strukturen der Kirche bedient, aber er hat die Kirche nie die Kontrolle übernehmen lassen.

Das Erdbeben hat Philiosophen wie Voltaire beschäftigt. Die Frage der Theodizee: Wenn Gott gütig ist, wie kann er Tausende so sterben müssen?
Es gab schon vorher Diskussionen in der Philosophie. Hat Gott einen Plan? Ist das alles von Gott gewollt? Oder ist Gott gar nicht so in die Welt involviert? Nach dem Erdbeben gab es Leute, die versuchten, das Ereignis zu rechtfertigen, sie erzählten den Menschen, dass sie den Zorn Gottes durch ihr gottloses Leben heraufbeschworen hätten. Was Unsinn war, die Leute in Lissabon waren fromm, lebten in Angst vor Gott. Aber nach dem Erdbeben machte sich unter den Ärmsten, und unter ihnen gab es die meisten Opfer, die Idee breit, dass Gott vielleicht gar nicht der beste Freund der Menschen ist. Zumindest nicht, wenn all das sein Plan war.

Sehen Sie in diesen Zeiten der Fake News die Philosophie noch als Antwort auf die wichtigen Fragen des Lebens?
Ja! Es gibt großartige Philosophen – Schopenhauer, Nietzsche, Voltaire. Sie geben einem das Rüstzeug, die Wahrheit hinter dem Blendwerk zu sehen. Wer sich mit Philiosopie beschäftigt, hält inne, ehe er in den sozialen Medien etwas absondert, ist nicht auf den billigen Effekt aus. Philisophie lässt den Geist, den Verstand und das Verständnis wachsen. Wir leben in einer Zeit, in der Unwahrheit so lange wiederholt wird, bis sie die Leute glauben. Ich glaube fast, ich selber werde angesichts dieser neuen Welt zum Nihilisten. (lacht)

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