FC Wacker München: Höhen und Tiefen einer Legende

München - Karl Mai pustet durch. Einmal, zweimal, dreimal. Er blickt nach unten, dann nach oben. Es ist ein wichtiges Duell an diesem 4. Juli 1954 im Stade de Suisse Wankdorf in Bern. WM-Finale, Deutschland gegen Ungarn, 60.000 Zuschauer. "Charly, Charly, aufpassen", brüllt Horst Eckel, Mais Nebenmann. Und Mai, auch Charly genannt, passt auf. Elf-Tore-Ballermann Sandor Kocsis kommt nicht vorbei. Nicht in dieser Szene. Nicht davor. Und auch nicht danach. Weil Mais Beinbewegungen so schnell getaktet sind wie die Schlagzahl einer Nähmaschine. Und somit schlichtweg zu schnell für Kocsis: zack, zack, zack. Zweikampf gewonnen - und später auch das Spiel: 3:2.
Deutschland ist Weltmeister. Dank Max Morlock, dank Helmut Rahn. Und auch dank ihm, Karl "Charly" Mai. Der, anders als es der Name suggeriert, für eher triste Gefühle bei den Gegnern sorgte.
Spieler beim FC Wacker war Mai nie. Trainer aber schon. Und das durchaus erfolgreich. Er lehrte am Reißbrett noch Taktik, keine Philosophie. Sprach noch von Kontern, nicht vom Umschaltspiel. Unter Dettmar Cramer erwarb er die B- und A-Lizenz.
FC Wacker: Unter Charly Mai im Amateur-Finale
Heute hängt ein Teller mit Charlys Konterfei an der Wand der Presselounge des FC Wacker in Sendling. Darauf steht: "Karl Mai: 23-facher deutscher Nationalspieler und Weltmeister von 1954 im Endspiel gegen Ungarn in Bern." Auf dem Tisch darunter liegt eine karierte Schirmmütze, Mais Schirmmütze. Unter dem Fürther Mai zog der Verein 1969 in das Finale der Amateurmeisterschaft ein - und verlor mit 3:5 gegen den VfB Marathon Remscheid.
Bis in die 90er-Jahre war der Verein die drittstärkste Kraft in München. Nach den Roten, nach den Blauen. Nach dem FC Bayern, nach dem TSV 1860. In einem Testspiel 1981 gegen die Löwen - damals Bundesligist - gewann der Bayernligist mit 2:0. Die Zeitungen schrieben danach: "Auch für einen Bayernligaverein wie den FC Wacker ist es keine Kunst mehr, die Münchner Bundesliga-Löwen an die Leine zu legen."
Heute spielt Wacker in der Kreisliga München Süd
Dann der Absturz. Krachend. Abrupt. Von 1992 bis 1994 stieg der Verein von der dritten in die sechste Liga ab. Und heute: Kreisliga München Süd, Spiele auf Ascheplätzen.
Florian Bamminger - 33, schwarzes Haar, dunkle Jeans, blaues Hemd - steht am Eingang der Wacker-Vereinsanlage in der Demleitnerstraße. Daneben: Franco Tamburello - 49, korpulente Statur, italienischer Akzent. Bamminger ist erster Vorsitzender des Vereins, Tamburello zweiter. Sobald die beiden über den FC Wacker sprechen, hört man zu. Bilder tauchen vor dem inneren Auge auf, Bilder von früher. Dabei könnten Bamminger und Tamburello auch ganz leise sein, das Ambiente reicht völlig aus. Momentaufnahmen, und das überall. In Fotoalben, an den Wänden, in den Schränken. Dazu prangen blau-weiße Wimpel an der Wand, Zeitungsartikel liegen auf dem Tisch, abgeheftet in Ordnern.

Mit Wacker in der Kreisliga: Franco Tamburello (l.) und Florian Bamminger, die Vorsitzenden des Vereins. Foto: Scheidel
In einem Artikel wird von einem Testspiel zwischen Wacker und der deutschen Nationalmannschaft berichtet. 6. Mai 1969. Mit dabei: Gerd Müller, Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Wolfgang Overath. Am Ende stand ein 1:1 auf der Anzeigetafel des Grünwalder Stadions. Nach einem Patzer von Sepp Maier war der FC Wacker sogar in Führung gegangen, Gerd Müller hatte per Elfmeter ausgeglichen. "Ja, ja. Wacker ist stark gewesen. Wir hätten uns einen Gegner aus der Bezirksklasse holen sollen", sagte Beckenbauer später in der Kabine.
Der Besuch beim FC Wacker an diesem Abend ist ein nostalgischer. Ähnlich dem eines Museumsbesuchs. Es gibt hier viel zu sehen. Und nicht nur Bilder, auch Urkunden: "Münchens Traditionsverein, der TSV München 1860, beglückwünscht den Süddeutschen Meister von 1922, den FC Wacker München, zum 100-jährigen Jubelfest." Nicht einmal, gleich zwei Mal feierte der Verein diesen Coup: 1922 und 1928. Beide Male qualifizierte sich der Verein für das Halbfinale der deutschen Meisterschaft. Und verlor. Zuerst gegen den Hamburger SV (0:4), dann gegen Hertha BSC (1:2).
Didi Hamann kickte in der Jugend beim FC Wacker
Es gebe weiterhin viele Anfragen, sagt Bamminger. Wöchentlich, fast täglich. "Und das aus der ganzen Welt." Es geht um Schals, Wimpel, Trikots, Zeitungsartikel. "Vor kurzem kam wieder eine Anfrage aus Liverpool, ob wir noch etwas von Didi Hamann haben", sagt er. Hamann kickte in der Jugend beim FC Wacker, von 1978 bis 1989. "Der Kontakt ist eingeschlafen. Wir haben überlegt, ob wir nach Unterföhring fahren und ihm am Sky-Studio abfangen", sagt Bamminger und spielt auf Hamanns Expertenjob bei sky an.
Der FC Wacker. Ein großer Klub. Früher. Köln-Legende Hennes Weisweiler kickte 1942 hier. Der frühere Bayern-Kapitän Adolf Kunstwadl wurde 1967 "Wackeraner", blieb sieben Jahre lang. Oder Alfred Schafferl, der 1922 mit dem Verein die süddeutsche Meisterschaft gewann. Sie alle spielten einst hier. Schaffer, erst Wacker-Spieler, dann Wacker-Trainer, wechselte 1940 nach Italien zu AS Rom - und führte den Verein 1941/42 zur ersten Meisterschaft.
Der Duden definiert "wacker" als Synonym für "tüchtig, tapfer, sich frisch und kraftvoll einsetzend". Was ja passt. Zu Bamminger, zu Tamburello. Zum ganzen Verein. "Gebrauch: veraltend", steht etwas weiter unten im Duden. Und auch das ist charakteristisch. Denn allzu oft wird in München nicht mehr vom FC Wacker gesprochen. Was sich wieder ändern soll. Und das so schnell wie möglich. Am besten in der Schlagzahl einer Nähmaschine. Zack, zack, zack.
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