FC Bayern: Experte: DFB-Team mit Manuel Neuer eine Bedrohung für die WM-Gegner
München/Klagenfurt - "Er kommt nicht in die Spur, er ist in der Spur!" Die Ansage von Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff zu Manuel Neuer vom FC Bayern ist eindeutig: Alle beim DFB-Team rechnen damit, dass der Superstar des FC Bayern nach monatelanger Verletzungspause mit zur Fußball-WM 2018 fährt.
Experte: Manuel Neuer wie Oliver Kahn
An diesem Samstag hat Neuer seine Bewährungsprobe im Test Österreich gegen Deutschland (18 Uhr, im AZ-Liveticker). Vor der Partie sprach die AZ mit Mentaltrainer und Persönlichkeitscoach Steffen Kirchner darüber, warum Neuer an seinen größten Niederlagen gewachsen ist - und weshalb es Paralleln zwischen dem Bayern-Keeper und Vorgänger Oliver Kahn gibt.
Herr Kirchner, Manuel Neuer hat seit September kein Pflichtspiel mehr gemacht, will aber unbedingt zur Fußball-WM 2018 – unvernünftig oder selbstbewusst?
STEFFEN KIRCHNER: Er weiß, worauf er sich verlassen kann. Er hat so viel Kontinuität in seinem Leben, so dass er weiß, dass wenn der Körper stimmt, er für seine Topleistung alles unter Kontrolle hat. Diese Selbstüberzeugung kann ihm keiner nehmen. Das Torwartspiel an sich. Aber vor allem auch die Mentalität nicht. Sein Ziel, bei der Fußball-WM 2018 dabei sein zu wollen, ist das Ergebnis. Andere würden in seiner Situation nicht so cool bleiben. Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die zum Teil genetisch bedingt sind, zum Teil ist jemand geprägt von frühester Kindheit an. Diagnostisch kann man das sogar messen.
Das heißt?
Beim Thema emotionale Ruhe, Belastbarkeit und Stressempfinden würde sich bei ihm eine hohe Stressrobustheit zeigen. Vielmehr würde man bei Neuer eine große Abenteuerlust und einen gewissen Hang zum Risiko erkennen. Er ist sehr wettkampforientiert, macht sich nicht so viele Gedanken. Sowas kann man nicht antrainieren, das bin ich oder das bin ich nicht. In seinem Leben hat er diese Persönlichkeit irgendwann mal mit auf den Weg bekommen.
"Es geht um emotionale DNA von Manuel Neuer"
Woher er kommt und wie er aufgewachsen ist?
Ja, es geht um seine emotionale DNA. Die ist bei jedem sehr unterschiedlich. Die Erfahrungen, die jemand macht, sind der andere Aspekt. Er hat ja auch schon große Niederlagen in seinem Leben einstecken müssen. Deswegen ist er heute eine Persönlichkeit. Und deswegen wird er, fährt er zu WM 2018, auch den Vorzug als Nummer eins bekommen.
Sie als Persönlichkeitscoach würden ihn wohl eher schon bremsen, oder?
Nein, der Persönlichkeitscoach würde ihn bestärken. Ein Sportler auf diesem Niveau hat eine ungemein gute Selbstwahrnehmung. Das unterscheidet ihn von anderen, die drüber sind, die zu viel wollen. Viele meinen, man müsste über die 100 Prozent gehen. Doch das ist ein Fehl-Glaube. Die wirklich besten Sportler der Welt erkennen, was ihre 100 Prozent wirklich sind. Die anderen Sportler meinen, sie wären schon bei 100 Prozent, sind aber gerade mal bei 80 Prozent. Über die 100 Prozent zu gehen, ist sehr gefährlich. Er hat auch sein Ego im Griff, um zu wissen, dass es nicht nur um ihn geht. Löw muss ihm nur die Freiheit geben, das selbst einzuschätzen.
Und seine Mitspieler spüren diese mentale Stärke, obwohl er monatelang nicht gespielt hat?
Wir hatten das in der Vergangenheit etwa bei Lothar Matthäus, der durch seine Persönlichkeit seiner ganzen Mannschaft Aufmerksamkeit verliehen hat. Auch eine Mannschaft hat ein Selbstbewusstsein, das sehr vom Charakter einzelner Spieler geprägt ist. Und da hat Neuer im DFB-Team natürlich massiven Einfluss.
"Geschichten über Manuel Neuer im Kopf"
Gegenspieler nehmen ihn dagegen als Bedrohung wahr?
Ja, klar. Man weiß es noch von Oliver Kahn von früher. Neuer ist eine Respektsperson, über ihn haben die Gegenspieler Geschichten im Kopf. Das wirkt auf den Gegner. Wenn ein Manuel Neuer auf einen Stürmer zugelaufen kommt, hat dieser Respekt. Im Sport geht es immer darum, wie gut jemand in den Kopf des Gegners kommt. Neuer nistet sich durch sein Auftreten sehr schnell in den Köpfen seiner Gegner ein.
Bei der WM 2014 gab es das Achtelfinale gegen Algerien, als Neuer so selbstsicher war, dass er gefühlt fast am Sechzehner der Afrikaner auftauchte.
Das ist genau der Punkt. Er interpretiert ein Spiel offensiv, mit einem Grundvertrauen in sich und seine Fähigkeiten, was wiederum auf andere ausstrahlt. Das braucht das DFB-Team, da im Vergleich zur WM 2014 viele Säulen weggebrochen sind. Es fehlen Miroslav Klose und Philipp Lahm, bei Jerome Boateng muss man schauen, wie fit er wirklich in die Fußball-WM gehen kann. Deswegen will Joachim Löw unbedingt die Persönlichkeit von Manuel Neuer.
Letzte Frage, ein fiktives Beispiel: Bliebe Neuer auch so cool in einem Elfmeterschießen England gegen Deutschland?
Gerade, wenn der Druck richtig groß wird, wird quasi eine Lupe auf Persönlichkeitsmerkmale gelegt. Je größer der Druck, desto mehr zeigen sich Persönlichkeitsmerkmale. Gerade dann wird die mentale Stärke von Neuer offenkundig. Das kennt man zum Beispiel auch von Kahn von früher – immer, wenn es heiß wurde, haben beide ihre unglaubliche Mentalität gezeigt.
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