Fatmire Alushi: "Diese Liebe ist stärker als alles"
AZ: Frau Alushi, gleich zu Beginn die wichtigste Frage für jede Mutter in den ersten Wochen nach der Geburt: Wie sind die Nächte?
FATMIRE ALUSHI: Mehr als vier Stunden habe ich derzeit nicht. Und bei unserem Baby arbeitet der Darm in der Nacht viel mehr als am Tag, da kommen halt die Bauchschmerzen und die Blähungen. Weil die Mama auch noch stillt, stehe ich nachts auf, weil der Papa als Leistungssportler morgens ausgeschlafen sein sollte (lacht).
Haben Sie sich an den neuen Tagesablauf gewöhnt?
Ich habe mich an den Schlafrhythmus halbwegs angepasst. Natürlich gibt es immer wieder Situationen, in denen man sich fragt, ob alles in Ordnung ist. Aber er ist gesund und munter. Ich trage ihn tagsüber meist auf dem Arm, denn sobald ich derzeit aus dem Blickfeld bin, fängt er an zu weinen...
Sie waren gewöhnt, ständig unter Menschen zu sein. Gerade in der Anfangszeit empfinden viele Frauen, die früher ein sehr selbstständiges Leben geführt haben, die Fremdbestimmung nicht nur als Vorteil. Wie ist das bei Ihnen?
Auf einmal habe ich ein Baby, das 24 Stunden am Tag meine Aufmerksamkeit benötigt. Das ist ein Full-Time-Job. Natürlich vermisse ich meinen Fußball, aber das schöne Gefühl überwiegt. Die negativen Gedanken prallen einfach ab.
Sie waren mit das bekannteste Gesicht im deutschen Frauenfußball: Würden Sie sagen, jetzt sind Sie glücklicher?
Ich war mit dem Fußball auch glücklich, aber ich habe mir immer eine Familie mit einem Baby gewünscht. Fußball spielen war definitiv viel leichter als Mutter zu sein. Ich habe jetzt eine Riesenverantwortung, die ich aus Liebe heraus übernehme und das ist stärker als alles andere. Natürlich vermisse ich die Spiele, die Reisen und das Drumherum beim Fußball, aber der Kleine ist wertvoller.
Müssen Sie mitunter darüber schmunzeln, was Ihnen früher wichtig war?
Vor dem Hintergrund meiner Geschichte stand die eigene Familie ohnehin immer an erster Stelle. Wir haben damals auf der Flucht eine Menge durchgemacht und hatten einen enormen Zusammenhalt. Wenn es darauf ankommt, würde ich mich immer für die Familie entscheiden.
Ihr Mann wollte im Sommer zum SC Paderborn wechseln, um näher bei Ihnen zu sein. Er hat alles getan, damit er bei der Geburt dabei sein konnte. Wie wichtig war das für Sie?
Ich war ja vorher zu Enis nach Hamburg gezogen, weil wir als Familie nichts davon halten, 400, 500 Kilometer entfernt zu wohnen. Zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin bin ich nur nach Mönchengladbach gegangen, da ich dort die Ärzte meines Vertrauens hatte. Doch dann kam der Kleine fast zehn Tage zu spät, das war auch für Enis eine Menge Stress. Letztlich war er bei der Geburt dabei, was für uns beide sehr wichtig war.
Wenn Enis im Sommer den Verein wechseln würde, würden Sie dann mitgehen?
Ich würde mich nach ihm richten. Mit Baby möchten wir keine Fernbeziehung mehr führen.
Wie sah die Anteilnahme der ehemaligen Mitspielerinnen und der Bundestrainerin Silvia Neid nach der Geburt aus?
Die haben sich alle sehr gefreut. Alle wollten Bilder geschickt haben. Einige haben den Kleinen auch schon gesehen: Die Frankfurterinnen Dzsenifer Marozsan oder Simone Laudehr haben mich gleich in Hamburg besucht, Celia Sasic hat sich jetzt angekündigt. Die Bundestrainerin hat sich gemeldet und gleich einen Blumenstrauß geschickt.
Beim Weltmeister USA ist es gang und gäbe, dass Mütter auch wieder auf den Platz zurückkehren. Mit Christie Rampone ist eine zweifache Mutter mit 40 Jahren sogar noch in diesem Jahr Weltmeisterin geworden: Ist so etwas Vorbild für Sie?
Aus den USA und Norwegen kenne ich viele Spielerinnen, die als Mütter wieder zurückgekehrt sind. Davor habe ich einen Riesenrespekt. Nur wenn ein Mann voll dahinter steht, ist das ja unter einen Hut zu bekommen.
Warum ist Deutschland noch nicht so weit? Bis auf Teammanagerin Doris Fitschen, die aus einer früheren Beziehung ein Kind hat, scheint das bei Nationalspielerinnen fast ein Tabuthema zu sein.
Ich kenne außer Martina Voss-Tecklenburg (ehemalige deutsche Nationalspielerin, heutige Nationaltrainerin der Schweiz, Anm. d. Red.) auch keine andere Spielerin hierzulande, die Mutter geworden ist. Vielleicht sind viele dazu noch nicht bereit und wollen erst die Karriere zuende bringen, sie sind ja alle noch jung. Ich habe mich mitten in meiner Laufbahn für einen Break entschieden, um vielleicht danach wieder einzusteigen.
Sie stehen offiziell noch bei Paris St. Germain unter Vertrag. Stimmt es, dass Sie ihr Gehalt weiterbekommen?
Ich habe noch einen Vertrag bei Paris, und der Verein bezahlt mich weiter. Das ist eine Goodwill-Aktion. In den Vertragsgesprächen wird so ein Szenario nicht angesprochen und meines Wissens ist so etwas im Vertragswerk auch gar nicht verankert. Nachdem was mit mir passiert ist, könnte das vielleicht anders werden. Mit den PSG-Verantwortlichen stehe ich in Kontakt, sie können sich sogar vorstellen, dass ich im Frühjahr noch die Champions League mitspiele. Vielleicht mit Anja Mittag noch einmal zusammenzuspielen, das ist auch mein Ziel, das ich nicht aus den Augen verloren habe.
Ihr letztes Spiel war im Mai das verlorene Champions-League-Finale gegen Frankfurt. Würden Sie solch eine Partie im Nachhinein noch einmal bestreiten in dem Wissen, dass Sie schwanger sind?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich habe sehr spät erfahren, dass ich schwanger bin und dann stand schon dieses Finale vor der Tür, auf das ich so hingearbeitet hatte. Und ich hatte bis dahin alle Übungen mitgemacht, von der Grätsche bis zum Flugkopfball. Ich habe dann mehrere Ärzte konsultiert, die mir alle bescheinigt haben, dass mein Körper noch total auf Leistungssport programmiert ist: Sie haben gesagt, ich solle dieses eine Spiel noch machen und nur aufpassen, dass mir keiner mit gestrecktem Bein in den Bauch tritt. Aber im Rückblick muss ich sagen, dass ich nicht ganz frei spielen konnte. Ich würde gerne noch ein solches Endspiel bestreiten – aber diesmal nicht mit einem Baby im Bauch (lacht).
Wie sieht es derzeit mit sportlicher Betätigung aus?
Noch muss ich mich zurückhalten, in den ersten acht Wochen ist das ja noch untersagt. Ich mache mir da keinen Stress und werde noch einige Wochen warten, bevor ich leicht mit Joggen anfange.
Wann wollen Sie wieder fußballspezifische Übungen machen?
Das Fußballspielen verlernt man ja nicht. Natürlich habe ich an Muskelmasse verloren und muss auch wieder Kondition aufbauen. Ich könnte mir vorstellen, dass ich im Februar für einige Tage nach Frankreich fliege, um dort in irgendeiner Form auch wieder mitzutrainieren.
Wer aber soll aufs Kind aufpassen?
Das Baby kommt mit und meine Mutter auch. Das ist schon besprochen.
Haben Sie auch vor, ihre Nationalmannschaftskarriere fortzusetzen?
Das hängt von einigen Faktoren ab, denn ich werde mich auch nach Enis richten müssen. Und in Hamburg gibt es beispielsweise keine höherklassige Frauen-Mannschaft mehr. Sollte er wechseln und ein Frauen-Bundesligist in der Nähe sein, kann ich mir vorstellen, dort anzufangen. Und dann könnte ich auch die Karriere in der Nationalmannschaft fortsetzen. Vielleicht ja, vielleicht auch nicht.
Wie haben Sie die aus deutscher Sicht eher missglückte WM in Kanada verfolgt?
Ich habe mir alle Spiele unserer Mannschaft im Fernsehen angeschaut. Bisweilen war ich traurig. Und natürlich habe ich manchmal gedacht, vielleicht hätte ich der Mannschaft helfen können, zumal ich fast täglich Kontakt mit einigen der Mädels hatte. Aber dann kam gleich wieder der Gedanke, dass ich doch einen superschönen Grund gehabt habe, warum ich nicht dabei war.
Ist die Familienplanung eigentlich abgeschlossen?
Sicher nicht. Enis möchte gerne vier Kinder haben. Ich sage erst einmal nur: Arian soll kein Einzelkind bleiben. Wenn ich mir übrigens seine Oberschenkel und Waden anschaue, dann wächst hier gerade ein Fußballer heran. (lacht)