Fanszene: Wem gehört der Fußball?

Am Mittwoch entscheiden die Ligaklubs über das Sicherheits-Konzept – und riskieren den Bruch mit den Fans. Die AZ sagt, um was es geht.
von  Thomas Becker

Frankfurt - Nackt-Kontrollen, Sicherheits-Euro und die Spirale der Gewalt: Wenn bei der DFL-Mitgliederversammlung die 36 Profivereine über das überarbeitete Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ abstimmen, streiten Polizei, die Bundesligisten und ihre Fans nicht nur um die Zukunft der Stadionsicherheit. Es geht auch um ein politisches Signal und die Frage: Wem gehört der Fußball – und wer muss dafür zahlen, dass er sicher bleibt?

Seit Wochen tobt die Sicherheitsdebatte durchs Land. Drei Spieltage blieb es in den ersten zwölf Minuten und zwölf Sekunden still in den Stadien. Tausende Fans zogen vor Spielen in Protestmärschen durch mehrere Städte. Sollten die Vereine nun das Konzept ablehnen, ist eine Beteiligung an den Kosten für Polizeieinsätze unumgänglich. Das hatten Innenminister von Bund und Ländern mehrfach deutlich gemacht. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat einigen Klubs gar Gleichgültigkeit gegenüber Gewalt in den Stadien vorgeworfen. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann hat ein klares Votum für das Konzept gefordert und andernfalls mit finanziellen Konsequenzen gedroht: „Alles andere wäre nicht zu akzeptieren. Wenn die Liga nicht geschlossen steht, ist klar, dass wir mehr Polizei einsetzen müssen. Das werden wir dann auch in Rechnung stellen.“ Stichwort Sicherheits-Euro.

Der harte Kern der Fans will derweil seine Aktionen verschärfen, falls das Konzept wie vorgelegt beschlossen wird. Philipp Markhardt, Sprecher der Stimmungsboykottler „12:12", sagte dagegen: „Wir setzen auf Dialog." Und Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, meinte: „Letztendlich wird nicht das Papier ausschlaggebend sein, sondern wie die Fans vor und in den Stadien behandelt werden. Es ist ein großer Vertrauensverlust zu konstatieren."

Die AZ zeigt die Streitpunkte auf:

PYROTECHNIK: Das einzige Thema, bei dem man sich fast einig ist. Pyrotechnik wird von DFL, DFB, Vereinen und den meisten Fan-Organisationen abgelehnt: zu gefährlich. Immer wieder werden unerlaubterweise Knallkörper abgefeuert - einer der Hauptgründe für die geplante Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen. Die Kampagne „Pyrotechnik legalisieren“ und Teile der Ultra-Szene verweisen auf Gutachten, die kontrolliertes Abbrennen von Feuerwerkskörpern nach geltenden Gesetzen in Aussicht stellen. Bayer Leverkusens Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser sagte: „Über Pyrotechnik darf man nicht diskutieren. Pyrotechnik ist nicht nur gesetzeswidrig, sondern lebensgefährlich.“

GANZKÖRPERKONTROLLEN: Holzhäuser ist auch „ein großer Fan von Ganzkörperkontrollen – nur nicht als obligatorische Maßnahme. Aber wenn dringender Tatverdacht vorliegt, muss ich als Hausherr das Recht haben, die Leute zu untersuchen – oder ihnen den Eintritt zu verwehren". Die DFL will solche Kontrollen nicht vorschreiben, beantragt aber „lageabhängige Kontrollen der Besucher und der von ihnen mitgeführten Gegenstände“. Entscheiden sollen Heimverein und Polizei. Fans fürchten, dass so die Voraussetzung geschaffen wird für so genannte Nackt-Kontrollen wie vor dem Bayern-Spiel gegen Frankfurt.

KOLLEKTIVSTRAFEN: Axel Hellmann, Vorstandsmitglied von Eintracht Frankfurt, sagt: „Es geht darum, die Kollektivstrafen herauszunehmen und Einzeltäter zu bekämpfen.“ Der DFL-Vorstand tritt „für eine kritische Überprüfung von kollektiv wirkenden Strafen ein“ und will diese „so weit wie möglich beschränken“. Das Kartenkontingent von zehn Prozent für Gäste könnte reduziert werden – nach einem Urteil des DFB-Rechtsorgans oder durch den Heimverein. Letzteres, so Fanvertreter, würde Repressionen gegen Gäste-Fans schüren.

VIDEOÜBERWACHUNG: NRW-Innenminister Ralf Jäger rechtfertigt das so: „Es geht darum, die Gewalttäter und Idioten aus dem Stadion fernzuhalten.“ Künftig soll die Befehlsstelle der Polizei mit einer Vorrangschaltung für die Videoüberwachungsanlage ausgestattet werden, um Täter in den Stadien identifizieren zu können. Vereine, die keine Probleme mit Gewalttätern haben, fürchten Mehrkosten. Fans sprechen von Totalüberwachung.

VERMUMMUNGSFRAGE: Neben Alkoholika, Waffen und Feuerwerkskörpern sollen auch Gegenstände, „die dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität einer Person zu verhindern“, den Zuschauern an den Eingängen weggenommen werden. Fans befürchten, dass dies auch für Vereinsschals gilt.

TV-GELDER: Wird ein Verein zum wiederholten Mal wegen Randalierendern auffällig, soll er Teile der Zahlungen aus dem Fernsehvertrag „zweckgebunden“ einsetzen – in Fanarbeit und Sicherheitsmaßnahmen. Dies würde finanziell klamme Klubs aus Liga 2 treffen, die sich dagegen wehren.

DAS SAGEN DIE BAYERN: Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge: „Es ist wichtig, dass die Klubs Solidarität zeigen, mit einer Zunge sprechen und nicht mit unterschiedlichen Interessenlagen in so eine Geschichte reingehen. Ich hoffe, dass wir zu einem klugen und guten Ergebnis kommen.“

DAS SAGEN DIE SECHZIGER: Geschäftsführer Robert Schäfer: „Wir haben uns vier Mal mit Fan-Vertretern getroffen und alle strittigen Punkte diskutiert. Da im Zuge der Umarbeitung des Konzeptes die Wünsche unserer Fans eingearbeitet wurden, werden wir dem Konzept zustimmen.“

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.