Fanforscher rechnet mit friedlicher EM

Der Sportwissenschaftler Harald Lange über Gewalt im Fußball, Fan-Kulturen und warum er mit einer friedlichen EM in Polen und Ukraine rechnet. 
von  dapd
In wenigen Tagen beginnt die EM in Polen und Ukraine. (Archivbild)
In wenigen Tagen beginnt die EM in Polen und Ukraine. (Archivbild) © dpa

Der Sportwissenschaftler Harald Lange über Gewalt im Fußball, Fan-Kulturen und warum er mit einer friedlichen EM in Polen und Ukraine rechnet. 

Berlin - Der Sportwissenschaftler Harald Lange forscht in Würzburg und Köln über Fankultur. dapd-Korrespondent Tobias Kurfer sprach mit dem 43-Jährigen über die bevorstehende Fußball-EM in Polen und der Ukraine und die Ursachen von Gewalt im Fußball, die Spannungen bei deutsch-polnischen Partien und Stadionbesuche, die an Theaterabende erinnern.

dapd: Herr Lange, Leichtathletik-Wettkämpfe und Handball-Turniere sind traditionell friedliche Veranstaltungen, beim Fußball scheint die Gewalt dazuzugehören. Warum ist das so?

Lange: Das hat mit Traditionen zu tun. Seit Fußballspiele öffentlich ausgetragen werden, gibt es Gewalt im Stadion. Das reicht von Spieler-Beschimpfungen – also verbaler Gewalt – über Schlägereien bis zur vorbereiteten Hooligan-Aktion. Solche Formen aggressiven Verhaltens sind im Fußball zum Teil immer noch geduldet - ja sie werden geradezu erwartet. Die Folge ist, dass sich ein gewaltbereites Klientel von dem Sport angezogen fühlt.

Hat sich die Fußball-Gewalt verändert?

Es gibt heute in absoluten Zahlen insgesamt weniger Gewalttaten im Fußball. Aber wenn es zu Ausbrüchen kommt, haben wir es häufiger mit Gewalt-Exzessen zu tun. Dass Fans den Spieler einer gegnerischen Mannschaft abpassen und verprügeln – wie kürzlich im Fall des Leverkuseners Michal Kadlec geschehen – hätten viele vor einem Jahr noch für undenkbar gehalten. Das Hooligan-Problem dagegen ist viel geringer geworden. Das liegt daran, dass die Problem-Fans der späten 80er- und 90er-Jahre erwachsen geworden sind. Heute kommt die Fan-Gewalt häufiger aus der Ecke der Ultras, wobei es völlig falsch wäre, die Gruppierungen pauschal zu verurteilen.

Die UEFA hat Polen in der Vergangenheit mehrfach wegen Hooligan-Ausschreitungen kritisiert. Müssen wir mit Gewalt-Eskalationen rechnen?

Ich rechne nicht damit. Vor der WM 2006 in Deutschland gab es auch große Bedenken mit Blick auf polnische Hooligans. Am Ende sind die befürchteten Ausschreitungen ausgeblieben. Auch wenn diesmal Andere Verantwortung für die Sicherheit tragen, wird voraussichtlich alles friedlich verlaufen. Die Gastgeberländer haben ein viel zu großes Interesse, sich von ihrer guten Seite zu zeigen und werden alles daran setzen, dass die Spiele friedlich ablaufen. Interessant wird allerdings zu sehen sein, wie repressiv Politik und Polizei der Ukraine dabei vorgehen. Davon abgesehen denke ich, dass wir wieder ein friedvolles Fußballfest erleben werden, wie in Deutschland 2006 und in Österreich und der Schweiz 2008.

Wie bewerten Sie das Konfliktpotenzial zwischen deutschen und polnischen Fußball-Fans?

Ich erwarte da keine besonderen Spannungen. Ein Spiel Deutschland gegen Großbritannien oder die Niederlande kann wesentlich konfliktträchtiger sein.

Fassen wir zusammen: Statt sich zu bekriegen, feiern Fußballanhänger friedliche Fanfeste, in den Stadien sinkt die Zahl der Gewalttaten. Wird der Fußball bald gewaltfrei?

Wir haben gerade in der jüngeren Geschichte des Fußballs erlebt, dass Fan-Kulturen sich ändern können. In Großbritannien zum Beispiel ähnelt der Stadionbesuch heute fast schon einem Theaterbesuch. Fußball ist dort zum Familienereignis geworden. In Deutschland sind wir auch auf einem guten Weg. Damit der Fußball gewaltfrei wird, müssen wir uns darauf verständigen, dass wir keine Gewalt wollen. Und ich denke, das kann uns auch gelingen. 

 

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