Interview

Euro 2024: So hoch ist der CO2-Fußabdruck der Fans

Wie wird die Euro 2024 zu einem möglichst "klimaneutralen" Turnier? Hartmut Stahl hat dazu geforscht. In der AZ spricht er über die Fußabdrücke der anreisenden Fans und Teams in Bahn-Waggons.
Martin Wimösterer |
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Mehrweg auch in den Fanzonen: Während sich bei der Euro 2020 schottische Fans als Reinigungskräfte verdient machten, soll beim Turnier 2024 der Müll möglichst schon vorab vermieden werden.
Mehrweg auch in den Fanzonen: Während sich bei der Euro 2020 schottische Fans als Reinigungskräfte verdient machten, soll beim Turnier 2024 der Müll möglichst schon vorab vermieden werden. © imago images/PA Images

AZ-Interview mit Hartmut Stahl. Der Darmstädter forscht für das "Öko-Institut" zum Thema Sport und Umwelt und hat eine Studie zu einer "klimaneutralen" Euro 2024 erstellt.

AZ: Herr Stahl, wie war denn Ihr letzter Fußball-Besuch? Wie sind Sie angereist und was haben Sie konsumiert?
HARTMUT STAHL: Der war recht einfach: Angereist bin ich mit dem Fahrrad, das Spiel war im heimischen Darmstadt bei den Lilien. Was ich konsumiert habe? Ein Bier aus dem Mehrwegbecher, würde ich annehmen.

In Ihrer "Konzept- und Machbarkeitsstudie zu einer 'klimaneutralen' UEFA EURO 2024" haben Sie zum Beispiel errechnet, dass für einen Stadion-Burger 560 g CO2 entsteht und haben die geringeren Werte eines vegetarischen und eines veganen Burgers danebengestellt. Sie gingen ganz schön ins Detail.
Es sind zum einen Maßnahmen in der Studie untersucht worden, wo wir denkbare Einsparpotenziale betrachtet haben. Zum anderen ging es die um konkrete Klimabilanz der EURO 2024. Es ist eine Ex-ante-Klimabilanz, eine Vorab-Klimabilanz, auf der Grundlage, dass man viele Daten abschätzen muss. Ganz wesentlich: Zu dem Zeitpunkt, als die Bilanz gemacht wurde, stand noch nicht fest, welche Länder überhaupt teilnehmen. Das ist eine der großen Unsicherheiten, wenn man über eine Ex-ante-Klimabilanz redet.

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Deutschlands Nachbarländer: Gute Zugverbindungen in die Austragungsstädte

Sie haben ermittelt, dass ein Großteil der Gesamtemissionen von 490.000 t der EM durch Reisen von und zurück ins Ausland zustande kommt, vor allem von Fans. Inwiefern kann man da groß Einfluss nehmen auf die Klimabilanz einer EURO?
Bei internationalen Sportgroßveranstaltungen haben Sie einen deutlich größeren CO2-Fußabdruck, wenn Sie viele ausländische Besucher haben, die häufig fliegen. Das heißt aber nicht, dass man nichts machen kann – im Gegenteil. Man hat durchaus Möglichkeiten, bei solchen Rahmenbedingungen, mit Deutschland in zentraler Lage. Wenn man sich die Zugverbindungen zu den Nachbarländern anschaut, sieht man, dass viele der Städte – Wien, Paris, Zürich, Brüssel, Kopenhagen – gute Zugverbindungen in die Austragungsstädte in Deutschland haben. Da können Sie zumindest aus den Nachbarländern ganz gut anreisen. Insofern gibt es Möglichkeiten, eine deutliche Reduktion der CO2-Emissionen zu erreichen. Bei Teilnehmerländern wie Island, die weit weg sind und sowieso nicht anders als mit dem Flugzeug anreisen können, werden wir immer noch einen relativ großen Fußabdruck durch internationale Anreisen haben. Das ist klar.

Die Deutsche Bahn ist offizieller Partner der EURO 2024 und bietet spezielle Tickets für EM-Reisen in In- und Ausland an. Wie bewerten Sie die Angebote verglichen mit dem, was Sie sich in der Studie vorgestellt haben?
Das ist dringend notwendig, dass solche Angebote gemacht werden, um die Attraktivität der Bahnreisen zu erhöhen und möglichst viele Fans auf die Schiene zu bekommen. Man kann sich immer mehr wünschen. Rein aus Klimasicht wäre es wünschenswert gewesen, dass man das Kombi-Ticket, d.h. das Eintrittsticket erlaubt die kostenlose Nutzung des Nahverkehrs im Austragungsort und dessen Umfeld, ausgeweitet hätte auf Gesamtdeutschland, also auch den Fernverkehr. Das wäre ein Meilenstein gewesen, aber es ist natürlich eine Kostenfrage.

EM-Teilnehmer mit dem Zug zu den Spielorten?

Sie haben auch vorgeschlagen, dass die Teams per Zug anreisen bzw. so zwischen den Spielorten verkehren sollen. Wie realistisch ist das bei einer EM? Vor ein paar Jahren erst ist die DFB-Elf selbst zu einem Länderspiel von Stuttgart nach Basel geflogen, anstatt den Bus zu nehmen.
Ja, ich kann mich erinnern. Generell: Warum schlägt man so etwas vor? Da steckt schon dahinter, die realen Treibhausgasemissionen zu reduzieren, die durch die Aktivitäten der EURO entstehen. Doch genau so wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass man sensibilisiert und positive Beispiele sendet, um die Fans zu erreichen. Da sehe ich ein großes Potenzial, wenn die Vorbilder mit dem Zug fahren. Wie realistisch ist das? Wenn ich recht weiß, reisen beim Handball bereits alle deutschen Nationalmannschaften mit der Bahn zu den Länderspielen. Aber auch die Fußball-Nationalmannschaft ist schon mit dem Zug unterwegs gewesen.

Hartmut Stahl: Der Darmstädter forscht für das „Öko-Institut“ zum Thema Sport und Umwelt.
Hartmut Stahl: Der Darmstädter forscht für das „Öko-Institut“ zum Thema Sport und Umwelt.

Apropos Vorbild: Warum sieht man bei Länderspielen noch Spieler am Spielfeldrand aus Plastikflaschen, wie es sie im Supermarkt gibt, trinken?
Bei der EURO geht es in Richtung Mehrweg. Man kann davon ausgehen, dass die Zuschauer bei den Getränken Mehrwegbecher haben werden und keine Einwegflaschen zu sehen sein werden. Das betrifft nicht nur die Stadien selbst, sondern auch die Fanzonen, wo ja im Zweifelsfall mehr Zuschauer sein werden als in den Stadien. Da ist die EURO auf gutem Wege.

Hartmut Stahl: "Mit dem Geld in Sportvereinen in Deutschland konkrete Klimaschutzmaßnahmen" umsetzen

Zu den Kosten: Für die errechneten Emissionen rund um die EURO käme man bei einem CO2-Preis 2024 von 40 Euro pro Tonne auf 19,6 Mio. Euro, die die Ausrichter an Kompensation leisten müssten. Klingt wenig bei prognostizierten Einnahmen von 2,3 Mrd. Euro. Sind solche Kompensationen zu wenig, um die Sache wirklich anzupacken?
Grundsätzlich haben wir in der Studie geschaut, welche Möglichkeiten es gibt, um mit Emissionen, die letztlich nicht vermeidbar sind, umzugehen. Da muss man ganz klar sagen, dass wir nicht in Richtung von Kompensation und Zertifikatekauf gehen. Viele dieser Produkte auf dem Markt halten nicht, was sie versprechen. Das heißt, der tatsächliche Effekt an CO2-Ausgleich wird in der Praxis oft nicht eingehalten. Insofern ist ein Teil der Studie gewesen, zu schauen, was gibt es für Alternativen. Da ist die Klimaverantwortung. Dort wird ein Klimaverantwortungsbudget zugrunde gelegt, in dem ein spezifischer CO2-Preis multipliziert wird mit den nicht vermeidbaren Tonnen an CO2-Emissionen. Die Idee ist, mit dem Geld in Sportvereinen in Deutschland konkrete Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Es ist bekannt, dass viele Vereine mit der Sanierung ihrer Anlagen und hohen Energiekosten kämpfen. Da ist viel zu tun, was die CO2-Emission dieser Sportanlagen betrifft. Wichtig ist, dass wir hier unsere Hausaufgaben machen und nicht meinen, Zertifikate wären die Lösung.

Sie hatten auch schon zur WM 2006 ein Konzept erstellt. Wie viel Prozent der Vorschläge von damals sind denn von den Ausrichtern umgesetzt worden?
Es sind damals viele der aufgestellten Ziele erreicht worden. Dieses "Green Goal"-Konzept war ganz am Anfang der Entwicklung, wenn man Sport und Umwelt bei Großveranstaltungen betrachtet. Insofern war es damals noch einfacher, Erfolge vorzuweisen, weil vieles neu war.

Eigenen Klima-Fußabdruck zu reduzieren – Sportevents haben aber weiter ihre Berechtigung

Philipp Lahm, Turnierdirektor der EM 2024, gab kürzlich ein Interview und sprach davon, man wolle mit dem Turnier einen "Aha-Effekt" kreieren. Er nahm alle möglichen Beispiele, was erreicht werden soll, die sich aber vor allem um die Kriegssituation auf der Welt drehten. Nachhaltigkeit hat er nicht erwähnt. Ist es ein Thema, dass durch die Situation in der Welt das eigentlich sehr wichtige Thema der Nachhaltigkeit in den Hintergrund rückt?
Ich würde sagen, dass aktuell in der Welt oder der Berichterstattung andere Themen stärker im Vordergrund stehen. Umso wichtiger ist es, über positive Beispiele und Aktivitäten zu berichten. Arbeitsleben und Klimawandel stehen nicht still. Die Planungen zur Nachhaltigkeit bei der EURO laufen schon seit geraumer Zeit. Im Organisationsteam der EURO sind Strukturen und Arbeitsabläufe etabliert. Die Personen, die für Nachhaltigkeit zuständig sind, haben alle Hände voll zu tun und arbeiten an der Umsetzung der Umweltmaßnahmen bis zum Beginn der EURO.

Halten Sie es bei der EURO 2024 mit Eugen Roth, der mal in anderem Sinne schrieb: "Die besten Reisen, das steht fest, sind die oft, die man unterlässt"? Oder fahren Sie zum Turnier?
(lacht) Das ist immer eine schöne Frage: Wäre es aus ökologischer Sicht nicht am besten, wenn die Veranstaltung gar nicht stattfinden würde? Wenn wir die Klimafragen betrachten, haben wir in Deutschland nicht die Philosophie, dass wir unser Leben komplett einstellen müssen. Das wäre ja die Konsequenz. Der Sport ist nur ein Bereich, wo wir Treibhausgase verursachen. Die Freizeitaktivitäten tragen durchaus deutlich zu unserem persönlichen Klima-Fußabdruck bei. Aber das möchte niemand, dass wir Lebensbereiche komplett auf null stellen. Die Philosophie ist, so viel wie möglich zu tun, um seinen eigenen Klima-Fußabdruck soweit wie möglich zu reduzieren. Insofern haben Sportevents auch weiter ihre Berechtigung.

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20 Kommentare
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  • Witwe Bolte am 26.04.2024 13:31 Uhr / Bewertung:

    Wie hoch ist wohl der CO2-Fußabdruck im Ukraine-Krieg und seit Wochen in Gaza?

  • MadridistaMUC am 26.04.2024 12:36 Uhr / Bewertung:

    Schade, dass ich mich nicht wieder in die 80er/90er zurückbeamen kann. Bekomme echt Angina pectoris wenn ich sowas lese. "CO2 Fuss Abdruck von Fußballfans ".. Wahnsinn..

  • MUC am 26.04.2024 13:18 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von MadridistaMUC

    Ja, die Wahrheit kann ganz schön bitter sein ... und eine ziemliche Spaßbremse, da wird noch mehr auf uns Menschen zukommen.

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