Erstes Spiel seit Mitte November: Jogis Kaltstart
Stuttgart - Knapp zehn Monate Pause, ohne ein gecoachtes Spiel, sprich ohne den Kern seines Jobs. Für Bundestrainer Joachim Löw bedeuteten die Auswirkungen der Corona-Pandemie mit der längsten Länderspielpause seit 70 Jahren beinahe den Entzug seiner Arbeitserlaubnis.
Außer Sichten, Beurteilen, Planen und Telefonieren gab es nichts zu tun. Der 60-Jährige wurde auf eine harte Probe der Tatenlosigkeit gestellt.
Die März-Länderspiele gestrichen, die EM 2020 in den kommenden Sommer verschoben. Seine Nationalspieler hatte Löw zuletzt Mitte November gesehen, beim Abschluss der EM-Qualifikation, dem 6:1 gegen Nordirland.
Bundestrainer Löw freut sich auf den Neustart
Nun also der Neustart. "Es fühlt sich sehr gut an", sagte Löw nun am Mittwochnachmittag in Stuttgart, "ich hatte vom ersten Moment an das Gefühl, dass alle, die hierhergekommen sind, sich freuen als wäre es erst gestern gewesen. Die Spieler sind mit viel Motivation und Aufmerksamkeit bei der Sache, das ist sehr, sehr erfreulich." Anders als die Umstände.
Mitten aus der Saisonvorbereitung oder aus dem Urlaub geht es gegen Spanien in Stuttgart (20.45 Uhr, ZDF live). Ein Kaltstart eben. Von (fast) null auf - na ja - nicht ganz Hundert. "Es kann nicht unterschiedlicher sein", betonte Löw, mit schwarzem Schal um den Hals, zum Auftakt der Nations League, der zweiten Auflage dieses neu geschaffenen Uefa-Turniers nach dem Debüt im Herbst 2018.
Damals für den DFB ein Desaster und zugleich Augenöffner – als Letzter der Dreiergruppe mit Frankreich und der Niederlande (vier Spiele, kein Sieg, nur zwei Remis).

Trotz des sportlichen Abstiegs blieb man wegen der Aufstockung der Liga A erstklassig. Die nun sechs (statt zuvor vier) Gruppenspiele sollen innerhalb von zweieinhalb Monaten durchgezogen werden, die Sponsoren der Verbände fordern ihr Recht ein, dazu werden im Oktober und November noch zwei Testspiele reingequetscht.
Löw darf die Vereine nicht verärgern
Also ist Löw auch vor dem ersten Geisterspiel der deutschen Länderspielgeschichte zurück in der Rolle, die er seit seinem Amtsantritt 2006 ständig innehat: in der des Moderators. "Ich spüre ein sehr, sehr extremes Verantwortungsgefühl für die Spieler", sagte der Weltmeistertrainer von 2014 und erklärte: "Wir haben eine Situation, die es so noch nie gegeben hat."
Er muss die Belastung seiner Spieler (Löw: "Ein Hammerprogramm, eine schwere Saison ohne Winterpause!") dosieren und steuern, darf die Vereine, die im Herbst Champions League und Europa League spielen, nicht verärgern.
Ohnehin stets ein Spagat, der diesmal wegen des eng getakteten Kalenders bis zur Muskelzerrung ausgereizt wird. Den Champions-League-Siegern Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry hat Löw für den September-Doppelpack (am Sonntag geht es in Basel gegen die Schweiz) frei gegeben. Auch die Halbfinalisten von RB Leipzig, Marcel Halstenberg und Lukas Klostermann, dürfen von der Couch zuschauen. Damit fehlen sechs Stammspieler.
Das führt zum ewigen Personal-Puzzle, diesmal mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Wie komplex die Zusammenstellung der Formation für Löw ist, verdeutlichte Toni Kroos (96 Länderspiele), in Abwesenheit von Neuer der Kapitän: "Einige sind einen Monat in der Vorbereitung, einige kommen locker flockig aus dem Urlaub, da bin ich einer von. Das ist ein bisschen zusammengewürfelt." Für Timo Werner jedoch "kommen die Matches zum richtigen Zeitpunkt, um uns einzuspielen". Für das Fernziel EM 2021.
Startelfgarantie für Bayern-Stars
Auch ohne Zuschauer im Stadion ist und bleibt Deutschland gegen Spanien ein schillerndes Duell, das zwischen dem Weltmeister von 2014 und dem von 2010. DFB-Präsident Fritz Keller sprach von einem "schwierigen Start" und trotz der ungewohnten Umstände von einem echten "Härtetest". Löw "tendiert zu einer Dreierkette", im Tor steht Kevin Trapp (Frankfurt).
Eine Startelfgarantie bekamen die Bayern-Profis Niklas Süle und Leroy Sané. "Wie lange deren Kräfte reichen, wird man sehen", so Löw.
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