Erst WM, dann EM: Le monde – l’Europe
Évian - Mit Bus und Bahn zum Spielort? Non, non. Der Streik bei der Air France betrifft die Reise der deutschen Nationalmannschaft zum Auftaktspiel gegen die Ukraine am Sonntag (21.00 Uhr, ZDF und AZ-Liveticker) in Lille nicht.
Der DFB hat eine eigene Maschine gechartert, die am Samstag um 11.25 Uhr vom Regionalflughafen Annecy abhebt. Läuft also.
Und wenn nicht – es gäbe eine andere Lösung. Gelassenheit, Ruhe, Zuversicht, Selbstvertrauen. Mit diesen Eigenschaften bewältigt Bundestrainer Joachim Löw bei seinem fünften Turnier als Cheftrainer den Alltag. Verletzungen und damit Absagen wie die von Ilkay Gündogan, Marco Reus und zuletzt Antonio Rüdiger? Pah! Dann gewinnen wir eben anders, mit anderer Aufstellung, etwas anderer Taktik. Hauptsache, es stimmt die Einstellung – mit Sinn für die Realität.
"Werden jetzt nicht jammern"
Wunschkonzerte entstammen der Mottenkiste. „Natürlich hätte ich gerne den Kader zur Verfügung, den ich mir vor ein paar Monaten gewünscht habe“, meinte Löw und fügte dann noch ganz lässig hinzu: „Das ist aber nicht der Fall, und deshalb werden wir jetzt nicht jammern. Wichtig ist nur, dass wir sofort Lösungen finden.“
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Probleme? Sind für Löw nur die Vorlage zu Lösungen. Vor der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien musste er auch auf Gündogan und – am Tag vor der Abreise – Reus verzichten. Wie dieses Mal ging Bastian Schweinsteiger mit Nachholbedarf an Fitness und Spielpraxis ins Turnier, nun trifft dies obendrein auf Stammspieler Mats Hummels zu. Mon dieu! Na, und?
In Brasilien alle Klippen umschifft
In Brasilien wurde das DFB-Team Weltmeister, umschiffte dabei alle Klippen, mal mit Schlagseite (2:1 nach Verlängerung gegen Algerien), mal mit ziemlichem Gegenwind (1:0 gegen Frankreich), dann in wahrhaft prachtvoller Fahrt (7:1 gegen Brasilien), schließlich mit einer Punktlandung im Hafen des Glücks.
Halbzeit. #DieMannschaft schaut gemeinsam das Eröffnungsspiel #FRAROU. #EURO2016 #JederFuerJeden pic.twitter.com/xiHuqSPCBf
— Die Mannschaft (@DFB_Team) 10. Juni 2016
Auch wenn sich ein Kapitän (Schweinsteiger) wie zwei Matrosen kurz vor oder im Finale gegen Argentinien verletzten (Khedira) oder sich an die letzte Schlacht nicht mehr erinnern konnten (Kramer).
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Der amtierende Weltmeister will nun auch den eigenen Kontinent erobern. Erst le monde, nun L’Europe – allez DFB! Erst den Goldpokal, nun die Silbertrophäe. Denn konnte Deutschland bisher drei Mal gewinnen – 1972, 1980 und 1996. Wer die Lockerheit und Selbstsicherheit beobachtet, mit der sich Löw selbst in den letzten Tagen hier am Genfer See bewegt, der bekommt den Eindruck, dass dies nicht gespielt ist.
Sämtliche Auftaktspiele eines Turniers haben die unterschiedlichen Löw-Teams gewonnen – sogar ohne Gegentor. 2:0 gegen Polen (EM 2008), 4:0 gegen Australien (WM 2010), 1:0 gegen Portugal (EM 2012) und 4:0 gegen Portugal (WM 2014). Finale, Halbfinale, Halbfinale, Titelgewinn – so die Löw’sche Turnier-Bilanz.
Stimmung zwischen Vorfreude und Terrorangst
Beide großen Turniere konnte bislang nur Helmut Schön gewinnen, in umgekehrter Reihenfolge. Erst 1972 die EM, zwei Jahre später die WM in der Heimat. Das Gastgeberland der Europameisterschaft 2016 bewegte sich in den letzten Tagen vor Turnierbeginn zwischen den Extremen Vorfreude und Vorsicht, bis hin zu Euphorie und Terrorangst.
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Seit dem 13. November ist letzten Jahres, als 137 Menschen bei Attentaten starben, ist diese EM eine ganz andere. Kein unbeschwertes Fußballfest, ein Turnier unter erschwerten Sicherheitsbedingungen. Paris, einst die Stadt der Liebe, nun ein Symbol des Terrors.
Jérôme Boateng hat erstaunlich offene Worte gefunden und erklärt, dass „meine Familie und meine Kinder nicht ins Stadion kommen werden“. Das Risiko sei ihm „einfach zu groß“. Bemerkenswert. Bedauernswert. Frankreich im Sommer 2016, die Welt in diesen Zeiten.
Lahm schickt Botschaft
Ein „friedliches Turnier“ wünschte DFB-Präsident Reinhard Grindel. Es klang wie nach dem fröhlichen „O’zapft is“ auf dem Oktoberfest: „Auf eine friedliche Wiesn!“ Dabei wollen die Leute einfach nur feiern, die Fans der deutschen Elf am liebsten den Titel.
Am Freitag schickte der Weltmeister-Kapitän eine Videobotschaft: „Jungs, ich drück’ euch die Daumen bei einem gemütlichen Bierchen. Ich werde dazu grillen und eure Spiele vorm Fernseher genießen – da bin ich mir sicher. Viel Glück und viel Spaß bei der EM!“ Fußball kann so schön, so schön einfach sein. Könnte.