„Er schaut von oben zu“
Florian Fromlowitz hat den schwierigsten Job in Fußball-Deutschland: Er ist Enkes Nachfolger.
HANNOVER Die Kommandos klingen klar. „Super Ball!“ „Rosi komm’!“ „Fuß vor!” „Wieder Ordnung!” Florian Fromlowitz dirigiert und organisiert. Und wenn er einen Ball pariert, loben ihn Andreas Bergmann und Jörg Sievers auffallend oft. „Gut, Flo!“, heißt es dann.
Chef- und Torwarttrainer von Hannover 96 beobachten an einem milden Novembertag das, was sie erhoffen zu sehen. Fromlowitz, 23, ist konzentriert und fokussiert aufs Torwartdasein. Samstag beim FC Schalke steht sein siebtes Bundesligaspiel dieser Saison an – das erste nach dem Tod von Robert Enke. Dessen Suizid bewegt noch immer die niedersächsische Landeshauptstadt. In den Straßenbahnen und Cafés diskutieren die Menschen und in 90 Minuten marschieren mehr zur Gedenkstätte vor dem Fanshop als zur Trainingsstätte. Trotzdem beteuert Fromlowitz: „Die Mannschaft hat den Schock und die Trauer hinter sich gebracht. Wir können wieder lachen. Und uns dem Sport widmen, den auch Robert so geliebt hat.“ Nur die Züge seines unrasierten Gesichts verraten ihn: Sie wirken in diesem Moment wie eine Maske.
Aber was soll Fromlowitz anderes tun, wenn er selbst sagt: „Es muss weitergehen.“ Und wenn Trainer Andreas Bergmann vom Eindruck einer „gefestigten Mannschaft“ spricht, die am Dienstag deutlich lust- und elanvoller übt als am Vortag, dann meint er seinen 23 Jahre jungen Tormann. Der beteuert vor den Kameras tapfer: „Ich habe keinen Konkurrenten, sondern einen Freund verloren. Er wird hier immer die Nummer eins sein.“
Wer ist dieser Modellathlet (1,85 Meter, 83 Kilo), der die Nummer 27 auf dem Rücken hat, erst 22 Bundesligaspiele, davon 16 für Hannover 96 gemacht hat? Pfälzer, geboren in Kaiserslautern, seit dem sechsten Lebensjahr beim FCK, seit der D-Jugend von Gerald Ehrmann trainiert. Einer aus Tarzans Torwartschule, wie es heißt – genau wie Tim Wiese oder Roman Weidenfeller. Ehrmann, immer noch Torwartausbilder in Kaiserslautern, sei bis heute Ansprechpartner und Vertrauensperson, „eine Mischung aus Vaterfigur und Freund“.
Es ist kein Zufall, dass er nach dem Suizid Enkes erst einmal in die Heimat fuhr. Um bei der Familie und Freundin Helene zu sein, aber auch, um sich mit Ehrmann auszutauschen. Der hat als Zuchtmeister viel Wert darauf gelegt, muskelbepackte Tormänner hervorzubringen, die vor allem Stärke ausstrahlen. Und die nicht umsonst fast alle den Titanen Oliver Kahn zum Vorbild erheben oder erhoben haben. Stichwort Tunnelblick. Wenn Fromlowitz diese Eigenschaft beherrscht – und den Anschein erweckt er in diesen trüben Novembertagen – ist es nicht das Schlechteste, um die nächsten Aufgaben zu bewältigen. Ob er Angst habe, wird er gefragt: „Auf gar keinen Fall. Ich habe schon viele Drucksituationen hinter mir. Wir müssen das alle ausblenden, und das werden wir schaffen.“ Einer von Ehrmanns goldenen Grundsätzen lautet: „Sieger zweifeln nicht, und Zweifler siegen nicht.“ Fromlowitz beschritt zuletzt – auch auf Anraten von Sievers – die goldene Ehrmann-Enke-Mitte und schaute sich vom Nationaltorwart in anderthalb Jahren einiges ab. Weniger Show und Selbstdarstellung, weniger Gerede und Geplapper. „Ich habe von Robert die Ruhe und Souveränität gelernt, ohne meinen Stil zu verändern“, sagt er heute. Im Juli 2008 im ersten Trainingslager nach seiner Verpflichtung hatte Fromlowitz mal orakelt: „Irgendwann wird meine Stunde schlagen.“
Nun muss er mit einem Schlag eine gewaltige Last schultern. Am Samstag in der Bundesliga die Bälle zu halten, das redet er sich jetzt ein, das habe Enke bestimmt so gewollt. „Ich spiele für Robert. Ich weiß: Er schaut von oben zu.“
Frank Hellmann