Endlich Nummer eins im DFB-Kasten: Ter Stegen, der Anti-Neuer

Nach Jahren als loyaler Stellvertreter ist Marc-André ter Stegen endlich die Nummer eins im deutschen Tor. Auf den Keeper des FC Barcelona wartet eine völlig neue Rolle: "Mein Anspruch war es immer, die Nummer eins zu sein."
von  Patrick Strasser
Neuer Stammtorhüter der Nationalmannschaft: Marc-André ter Stegen
Neuer Stammtorhüter der Nationalmannschaft: Marc-André ter Stegen © IMAGO / Kirchner-Media

Herzogenaurach - Allein diese Ziffer, die "1" dick und fett auf dem Trikot. Auf dem Rücken, auf der Hose. Sie bedeutet Marc-André ter Stegen, der neuen Nummer eins der DFB-Nationalmannschaft, alles.

Bei der Heim-EM war er noch der Stellvertreter von Manuel Neuer gewesen, wie gefühlt immer in seiner DFB-Karriere und wie immer blieb er bei einem Turnier ohne Einsatz. Im Sommer hatte er die Rückennummer 22 (die 12 bekam Oliver Baumann, die eigentliche Nummer drei im DFB-Tor) – die "22" symbolisierte noch mehr Distanz zur Stammkraft zwischen den Pfosten.

Obwohl ter Stegen, das größte deutsche Torhüter-Talent seit Neuer (Schicksal!), stets nahe dran war. An der Perfektion, an der Nummer eins. Der gebürtige Mönchengladbacher ist schon zehn Jahre beim FC Barcelona unter Vertrag und beim katalanischen Weltverein unumstritten. Und dennoch, im Herbst seiner Karriere, mit nun 32 Jahren, ist ter Stegen am Ziel seiner Träume. Die Eins.

Jetzt ist ter Stegen mehr als nur der Sparringspartner

Erstmals am Samstag in Düsseldorf, einen Katzensprung von seiner Geburtsstadt entfernt. Wenn es zum Auftakt der Nations-League-Gruppenphase gegen Ungarn (20.45 Uhr, ZDF) geht und vier Tage später in Amsterdam gegen die Niederlande, werden sich seine Länderspiele Nummer 41 und 42 ganz anders anfühlen. Er vertritt eben nicht – wie schon 40 Mal –Platzhirsch Neuer.

Nun ist er, der 2017 als Schattenkeeper in einer Perspektiv-Mannschaft den weniger wichtigen Confed Cup in Russland gewann, der neue Platzhirsch. Erstmals mit der realistischen Perspektive, bei der WM 2026 in Nordamerika zu spielen, zu hechten, zu halten. Und nicht nur dabei zu sein als geduldiger und frustrierter Bankdrücker im zweiten Glied. Als Sparringspartner im Training und Zuschauer bei den Spielen. Wie bei bislang vier Turnieren seit 2016 - ohne die EM 2021, da fehlte er verletzt.

Plötzlich bekleidet ter Stegen eine völlig neue Rolle

Nah dran war ter Stegen vor allem vor der WM 2018, als Neuer, der 124 Länderspiele absolvierte, kurzfristig aus einer Verletzung (Mittelfußbrüche) zurückkam. "Natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen du nachdenkst und sagst: Boah, das ist wieder ein Schlag gewesen", sagte ter Stegen am Donnerstag im DFB-Quartier in Herzogenaurach und meinte ehrlich: "Ich bin damit professionell umgegangen - aber es war enttäuschend, damit musst du leben. Es gab viele Gespräche in den ganzen Jahren. Es kam auch Frustration auf, wenn du immer wieder anläufst. Aber ich bin mir treu geblieben." Und ruhig.

So präsentierte er sich bei seinem ersten Auftritt als offizielle Nummer eins. Ruhig, kontrolliert, nachdenklich. Der 32-Jährige kann ab sofort in seiner neuen Rolle lauter sein, noch selbstbewusster nach außen. Er kann Dinge im Mannschaftskreis einfordern, seine Vorderleute entschiedener zurechtweisen, weil er nun ein anderes Standing hat. Es sei jetzt ein "anderes Gefühl". Gleich war aber seit jeher für ihn: "Mein Anspruch war es immer, die Nummer eins zu sein."

Ter Stegen fehlte die mächtige Lobby, die Neuer immer hatte

Konnte er nicht, durfte er nicht. Er, der so ganz anders ist als sein Vorgänger. Neuer hat viele Dinge durch seine natürliche Aura, nicht zuletzt durch seine Größe (1,93 m) geregelt. Und hatte stets Rückendeckung durch seine vielen Mitspieler vom FC Bayern, vor allem in der Defensive – zum Beispiel Philipp Lahm, Jérôme Boateng und zeitweise Mats Hummels.

Außerdem, und das war noch wichtiger, warfen sich Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge für Neuer verbal in die Bresche, wenn es mal Zweifel an seiner Form und seiner Fitness gab. Diese Lobby hatte ter Stegen, daher ein Anti-Neuer, nie. Auch, weil er bereits 2014 die Bundesliga verließ und zum FC Barcelona wechselte. Und zu sehr außerhalb des Radars flog. "Das ist aber ein grundsätzliches Thema, dass die Spieler, die im Ausland sind, nicht so im Fokus stehen", sagte ter Stegen und forderte: "Es sollte nicht untergehen, was unsere Spieler machen, die im Ausland tätig sind und Deutschland repräsentieren."

Nun will er sich auf "Top-Niveau präsentieren" und "das Land mitreißen". Ab Samstag, wenn das Ungarn-Spiel für den alten Hasen ter Stegen einen Neustart darstellt. 4487 Tage nach seinem unglücklichen Länderspiel-Debüt am 26. Mai 2012. Bei einem 3:5 in der Schweiz.

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