EM-Stadt Glasgow: Geteilt - und doch vereint

Glasgow ist eine geteilte Stadt. Nicht wie Berlin bis zum 9. November 1989. Die Mauer verläuft vielmehr in den Köpfen der 630.000 Einwohner der schottischen Metropole. Zumindest in den Köpfen derer, die es mit einem der beiden großen Fußball-Klubs der ehemaligen Arbeiter-Stadt halten: Celtic oder Rangers?
Celtic oder Rangers
Diese Frage spaltet Glasgow mittlerweile seit über einem Jahrhundert. Die Rivalität zwischen beiden Traditionsvereinen, gegründet bereits im 19. Jahrhundert (Rangers 1872, Celtic 1887) und mit einer Strahlkraft weit über Glasgow hinaus, ist Legende. Nicht umsonst gilt das "Old Firm" bis heute als das spektakulärste Derby Europas, vielleicht sogar der Welt.
Der ehemalige HSV-Star Jörg Albertz, der 1996 zu den Rangers wechselte und dort zur Klub-Ikone avancierte, sagte einmal in einem "11Freunde"-Interview über dieses Duell: "Nach dem Old Firm hast du als Spieler nichts in der Stadt verloren, egal wie das Spiel ausgegangen ist. Das kann gefährlich werden."
Die brisante Situation in dieser so fußballverrückten, aber auch vom Fußball so tief gespaltenen Stadt muss die Uefa im Blick gehabt haben, als sie Glasgow zu einem der ehemals zwölf Turnierorte der Europameisterschaft kürte. Denn die vier Gruppenspiele und ein Achtelfinale werden natürlich nicht im Ibrox Stadion der Rangers oder im Celtic Park ausgetragen, sondern im dritten großen Stadion der Stadt: dem Hampden Park, Heimat der Nationalmannschaft - und zugleich ein in Beton gegossenes Symbol der schottischen Unabhängigkeitsbewegung.
Außerhalb des Ligabetriebs sind alle Schotten
Egal, ob nun Celtic oder Rangers, ob aus Aberdeen oder Edinburgh, in dieser Kathedrale des Fußballs - wenn sie nicht im Ligabetrieb vom dritten Glasgower Klub Queen's Park FC bespielt wird - sind alle nur noch: Schotten! Vor allem dann, wenn es für die "Bravehearts" gegen den großen Nachbarn aus dem Süden geht.
Am 17. April 1937 sahen im seitdem mehrfach umgebauten Hampden Park mehr als 149 500 (!) Zuschauer das Länderspiel zwischen Schottland und England. 3:1 gewannen die Gastgeber damals gegen den scheinbar übermächtigen Rivalen.
Es war eines der seltenen schottischen Glücksgefühle einer zumindest 90-minütigen Unabhängigkeit vom British Empire. Dieser ewig währende Wunsch nach Eigenständigkeit gehört schließlich zum schottischen Selbstverständnis wie Whiskey, Dudelsack - und eben Fußball.
Zwar stimmte bei einem Volksabstimmung 2014 eine Mehrheit der "Highlander" für einen Verbleib im Vereinigten Königreich, aber nach dem Brexit hat in Glasgow und dem Rest des Landes die Dauer-Debatte um die Unabhängigkeit wieder deutlich an Fahrt aufgenommen - und wird die Politik in London wohl weiterhin beschäftigen.
Übrigens: Ein Stein gewordenes Zeugnis davon, dass nicht nur die Herrscher in London seit jeher ihre Mühe mit den unbeugsamen Schotten haben und hatten, ist mitten in Glasgow zu besichtigen. Die Stadt wurde 80 nach Christus von den Römern gegründet, die sich mit dem legendären Antonius-Wall vor den wilden Nordvölkern schützen wollten. Bis heute sind die Reste dieses Walls zu sehen. Die Mauer, sie verläuft in Glasgow also doch nicht nur in den Köpfen. . .