EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich: Welches Team ist besser?

München - Béla Réthy (59) hat Erfahrung mit unvergesslichen Halbfinalspielen bei großen Turnieren. 2014 kommentierte der gebürtige Wiener das 7:1 der deutschen Nationalelf gegen WM-Gastgeber Brasilien. Am Donnerstag sitzt Réthy wieder am ZDF-Mikrofon beim EM-Halbfinale zwischen Deutschland und Gastgeber Frankreich.
Für die AZ ging Réthy die fünf wichtigsten Duelle des Klassikers Deutschland gegen Frankreich durch – auf wen kommt es an, wer ist für seine Mannschaft wichtiger?
MANUEL NEUER – HUGO LLORIS
Réthy: „Lloris ist für mich ein Torhüter von gutem internationalen Niveau, aber längst kein Weltklasse-Torhüter wie Manuel Neuer. Der Keeper von Tottenham Hotspur hatte bisher kaum etwas zu tun, die beiden Gegentore beim 5:2 im Achtelfinale gegen Island zählen für mich nicht, da war das Spiel schon entschieden. Neuer dagegen fischte im Elfmeterschießen gegen Italien zwei Strafstöße, das war noch ein zusätzlicher super Bonus für seine Psyche. Seine Rolle als Kapitän füllt er gut aus, jedoch eher vor und nach den Spielen. Das Eingreifen auf dem Platz ist schon rein geographisch gesehen eher schwierig.“
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JÉROME BOATENG – OLIVIER GIROUD
Réthy: „Der Mittelstürmer des FC Arsenal ist von seiner Spielweise her normalerweise etwas hölzern, bei der EM präsentiert er sich sehr gut, hat schon drei Tore bei seinen vier Einsätzen erzielt. Wie die anderen französischen Angreifer weicht auch Giroud oft auf die Flügel aus, um auf den einzelnen Positionen zu variieren. Da gilt es für die deutschen Verteidiger um Boateng, ihre Gegenspieler geschickt zu übergeben. Für mich ist der Bayern-Profi der heimliche Kapitän, der wahre Boss in der Mannschaft. Wenn er das Volleyballspielen diesmal lässt, hat er ein klares Plus gegenüber Giroud.“
BENEDIKT HÖWEDES – ANTOINE GRIEZMANN
Réthy: „Das Aufeinandertreffen mit dem Star von Atlético Madrid, der im Champions-League-Halbfinale die Bayern geärgert und schon vier EM-Tore erzielt hat, wird eine schwierige Aufgabe für Höwedes, der wohl in der Innenverteidigung den gesperrten Mats Hummels ersetzen wird. Griezmann agiert sehr flexibel, weicht permanent aus, oft bis zur Mittellinie, dann muss das defensive Mittelfeld übernehmen. Höwedes spielt in meinen Augen ein gutes, sehr solides Turnier. Er hat auch nicht geschmollt, als er gegen die Nordiren und die Slowakei auf die Bank geschickt wurde. Unterm Strich hat Griezmann natürlich die größere individuelle Klasse.“
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JOSHUA KIMMICH – DIMITRI PAYET
Réthy: „Entscheidend für dieses Duell auf der rechten Abwehrseite der deutschen Mannschaft wird, dass Kimmich den Franzosen schon bei der Ballannahme stört. Denn sonst geht Payet richtig ab Richtung Tor, er schießt auch gerne aus der Distanz. Für mich ist der Mann von West Ham United einer der Spieler des Turniers, nicht nur wegen seiner drei Treffer. Kimmich muss giftig sein in den Zweikämpfen, das wird für den jungen Bayern-Profi die bisher größte taktische Herausforderung in seiner Nationalelf-Karriere. Die Italiener waren berechenbarer in ihrem Spiel, da war Kimmich defensiv nicht so unter Stress. Gegen die Franzosen folgt der ultimative Test.“
TONI KROOS – PAUL POGBA
Réthy: „Den Mann von Real Madrid bringt so schnell nichts aus der Fassung, er hat mittlerweile auch eine große Turniererfahrung. Da Sami Khedira fehlt, kommt auf Kroos noch mehr Verantwortung im zentralen Mittelfeld zu. Pogba ist ein Spieler, der viele Situationen oft zu kompliziert lösen möchte, der stets das Besondere anstrebt. Er stand bei den französischen Medien stark in der Kritik, wollte es allen beweisen. Im Halbfinale will der Juventus-Profi sich präsentieren, zeigen, dass dieses Mega-Angebot von Manchester United für ihn gerechtfertigt ist. Kroos ist im Vergleich aber der ruhigere und abgeklärtere Spieler.“
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Fazit zum Deutsch-französischen Tête-à-tête
Rethy: „Deutschland hat zwar die Ausstrahlung und das Selbstbewusstsein eines Weltmeisters, dennoch fehlen gerade auf den Schlüsselpositionen wichtige Spieler, die ersetzt werden müssen. Der Ausfall von Mats Hummels ist am schwierigsten zu kompensieren, während die Franzosen bisher völlig unbeschadet durchs Turnier gegangen sind. Daher sehe ich leichte Vorteile für Frankreich, tippe jedoch, weil sich die Deutschen immer steigern können, auf eine Verlängerung – mit offenem Ausgang.