EM-Gespräch mit Chris Boettcher: "Löw hat das Nasenbohren erst salonfähig gemacht"
München - AZ-Interview mit Chris Boettcher: Der Comedian parodiert seit 2010 Bundestrainer Jogi Löw, sein Programm heißt "Immer dieser Druck". Am 21. Juli tritt er bei Eulenspiegel Flying Circus im Deutschen Museum auf.

AZ: Herr Boettcher, seit 2010 haben Sie Joachim Löw parodiert, jetzt ist er bei der EM krachend gescheitert. Tragen Sie damit auch die Figur in Ihren Programmen zu Grabe?
CHRIS BOETTCHER: Er wird immer wieder mal auftauchen, aber man muss sagen, dass der Löw in den letzten Jahren auch einfach nicht mehr so funktioniert hat. Er war bei den Leuten nicht mehr so wohlgelitten. Man merkt auf der Bühne sehr schnell, ob das Publikum einer Figur überdrüssig ist, ob der Mensch die Menschen überstrapaziert hat. Das war bei Löw so, a bisserl so wie bei Angela Merkel. Wobei die immer eine Rolle spielen wird, die war immer die Mutti der Nation, und das wird sie immer bleiben. Aber Löw? Was will er in Zukunft machen? Wir verlieren einen guten Trainer, aber vor allem den Pflege-Coach der Nation. Wir alle wissen jetzt nicht mehr, mit welchen Pflegeprodukten wir uns jetzt verschönern müssen. Wobei: Eins muss man sagen.
Boettcher: "Das Schlafanzughosen-Outfit hat ganz gut gepasst"
Wir hören.
A bisserl hat die Zeit jetzt schon am Jogi genagt. Die Pflegeprodukte können nicht mehr alles kaschieren, er hat a bisserl einen Bauchansatz gekriegt.
Sie meinen, es fehlte ihm die högschde Motivation?
Naja, ich denke, das Schlafanzughosen-Outfit, das er bei der EM getragen hat, hat schon ganz gut zu der Situation gepasst. Wobei ich glaube, Jogi hat das alles nur gut gemeint mit dem Ausscheiden. Er wollte seinen Spielern den Kabinenbesuch von Merkel nach dem Titelgewinn ersparen. Auch eine gute Tat. Frisurentechnisch hatten die beiden sich ja eh über die Jahre sehr angeglichen. Merkel hat bei Jogi abgeschaut, und von der jüngeren Generationen sind eh die meisten überzeugt, dass die beiden ein Ehepaar sind.
Kann Löws Nachfolger Hansi Flick die Rolle des Jogis in Ihrem Programm ausfüllen?
Nein.
Klare Aussage.
Ja. Flick ist so spektakulär unscheinbar und hat damit Erfolg. Es gibt für einen Parodisten nichts, was man an ihm parodieren könnte. Tut mir leid. Bei mir wird der Oliver Kahn die Rolle von Löw übernehmen. Mein neues Programm heißt ja "Immer dieser Druck": Das habe ich von Kahn übernommen, weil der ja immer von diesem immensen Druck gesprochen hat. Also: Kahn macht jetzt den Jogi.
"Die WM 2014 hat Löw übermenschlich gemacht"
Was bleibt Ihnen von Löw besonders im Gedächtnis?
Das war schon seine Nasenbohrerei, als er vollkommen befreit und entspannt vor einem Millionenpublikum in der Nase rumgesucht hat. Sein Titelgewinn und das 7:1 über Brasilien bei der WM 2014 hat ihn übermenschlich gemacht, und damit wurde Löw eben wieder zutiefst menschlich. Er hat das Nasenbohren erst salonfähig gemacht. Er hat einfach eine gewisse Gelassenheit. Auch seine ausgiebigen Taschenbillard-Einlagen, die dicke Zunge mit der er geredet hat, diese Zischlaute. Zwischenzeitlich hatte man ihm das fast weggecoacht, aber in letzter Zeit ist es immer schlimmer geworden.

Was bleibt von Löw übrig?
Er hat den Titel geholt, das kann ihm keiner nehmen. Aber: Er hat für seine Ära fast 200 Spiele gebraucht, Franz Beckenbauer hat es in nur 60 Partien auch auf einen WM-Titel gebracht. An die Lichtgestalt kommt Löw nicht an, Beckenbauer bleibt der König Midas des deutschen Fußballs. Was er anlangte, wurde Gold. Vielleicht sehen wir Löw mit Lukas Podolski als Superjuror, oder er tritt selber auf und stellt dann den Weltrekord beim Taschenbillard auf. Ich mag ihn, seine entspannte Art. Wobei er jetzt doch zu entspannt war, er hat bei der EM so viele Fehler gemacht. Bei den Einwechslungen gegen England hatte man das Gefühl, er weiß nicht, was er tut. Wir haben erstmals überhaupt - nicht nur gefühlt, sondern wirklich - 80 Millionen bessere Bundestrainer.
"Diese EM ist eine ungemein effiziente Form der Ansteckung"
Sie sind als Künstler jetzt seit eineinhalb Jahren ohne Auftritte. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Bilder von den Fans im Stadion sehen, die sich trotz Corona-Pandemie mehr als nur nahe kommen?
Als ich das gesehen habe, dachte ich mir gleich, dem Fußball sei Dank, werde ich auch im Herbst keine Auftritte haben, weil die Corona wieder zurückbringen. Ich muss zugeben, bei dem dritten Lockdown kam ich in eine depressive Grundstimmung. Ich habe 460 Tage keine Auftritte gehabt, musste 125 Konzerte absagen. Ich glaube, wir dürfen den Titel noch nicht abschreiben: den des Europameisters der Inzidenzen, da ist noch nicht alles verloren. Wobei es uns die Engländer - schon wieder die - und die Ungarn nicht leicht machen. Diese EM ist eine ungemein effiziente Form der Ansteckung. Das wird übrigens UEFA abgekürzt.
- Themen:
- Joachim Löw
- Sport